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Das Netz geht unter die Haut

Ein Interview zum CyberTattoo - Projekt

Bei "Kunst und Internet" denkt man spontan an digitale Grafik, an Cyberspace-Literatur, an Online-Galerien und die Homepages der großen Museen. Viele Kunstprojekte nutzen das Netz als Transportmittel - wenige reflektieren seine kulturelle Bedeutung und seine sozialen und psychischen Auswirkungen auf die "User". Die Berliner Internet-Künstler Micz Flor und Florian Clausz arbeiten genau an diesem "blinden Fleck" der Netzgesellschaft. Mit ihrem Projekt "CyberTattoo" haben sie die jahrtausendealte Kulturtechnik des Tätowierens ins digitale Zeitalter katapultiert. Ihr Nachbau der ersten mechanischen Tätowiermaschine von 1890, ans Internet angedockt, bringt einem das Netz näher .....und geht unter die Haut. Ein Tagesspiegel-Interview:

Tagesspiegel: Wir sitzen hier vor der wahrscheinlich ersten und einzigen Cybertattoo-Maschine der kurzen Internet-Geschichte. Wer oder was hat euch zu dieser Arbeit inspiriert ?

CT: Das Netz wird allgemein als die ultimative Wunsch-Maschine gehandelt, gleichzeitig als die entgültige Prothese, die uns den Körper ersetzen soll. So möchte man etwa beim Cybersex mit dem Netz verschmelzen, möchte eins werden mit ihm. Wir haben das zynisch weitergedacht. Wir wollten dem "Netzverkehr" eine Konsequenz verleihen. Bei unserem Projekt "Cybertattoo" geht einem das Netz buchstäblich unter die Haut. Diese Maschine hat die Konsequenz daß, wenn man die Entscheidung getroffen hat mit dem Netz eins sein zu wollen, daß einem dann das Netz auf den Körper, auf die Haut tätowiert wird.

Tagesspiegel: Ein zentrales mechanisches Teil der Anlage ist einem Drucker nach-empfunden. Kann man "CyberTattoo" vereinfachend beschreiben, indem man sagt: ihr habt den Vorgang des Ausdruckens von Informationen aus dem Netz vom Papier auf die menschliche Haut verlagert ?

CT: Die Tatsache, daß es dem Drucker entliehen ist, ergibt sich aus der Notwendigkeit des Einschreibens. Nur: bei uns endet Information nicht als Altpapier sondern wird Teil der Identität. Auf unserer Homepage www.art-bag.org/CyberTattoo haben wir den historischen Kontext des Projektes als Text angelegt. Wir verweisen dort auf die Geschichte des Tätowierens, als eines jahrtausendealten Brauchtums eingeborener Völker wie z.B. der Maori. Das Zeitalter der industriellen Revolution hat sich auf diese Kulturtechnik so ausgewirkt, daß Samuel O`Reilly im Jahre 1890 die erste mechanische Tätowiermaschine der Welt konstruiert hat. Gleichzeitig war das Tätowieren immer auch eine maritime Tradition. Motive und Bilder auf der Haut der Matrosen, wurden mit Hilfe des Transportmediums Seefahrt zwischen den Hafenstädten der Welt hin und her transportiert. Bilder aus China wurden in New York kopiert und weiterentwickelt und gelangten anschließend nach Rostock oder Lissabon.

Interessanterweise tauchen heute, hundert Jahre nach der Mechanisierung des Tätowierens, traditionelle Motive aus dieser Periode in einem ganz neuen Medium wieder auf. Das Internet, das gerne auch als Meer visualisiert wird auf dem man surfen kann, transportiert klassische Tätowiermotive wie das Steuerrad, wehende Fahnen usw. an alle Orte der vernetzten Welt. Im aktuellen Zusammenhang kehren diese Motive als Logos der Browser, der Transportprogramme des Netzverkehrs, wieder zurück. Dabei symbolisieren sie erneut das Reisen und den Austausch von Informationen. Hundert Jahre später gibt es jetzt die digitale Tätowiermaschine.

Daneben gibt es einen praktischen Teil - die Hardware, die Cyber Tattoo-Maschine selbst. Wir haben diese Maschine entwickelt und gebaut. Wir haben die Baupläne der Maschine ins Netz gestellt, das "making of" beschrieben und alles zusammen mit den Tätowiermotiven und der Software auf einer Softwarepage abgelegt.. Jeder kann sich das Programm von dort herunterladen. Das funktioniert ähnlich wie z.B. bei Real Audio. Wenn man im Netz auf ein bestimmtes Tätowiermotiv klickt, dann lädt sich das Control File automatisch gleich mit. Wer die Maschine nachbaut und auf die beschriebene Weise mit dem Netz verbindet, der kann unsere Tätowiermotive abrufen und sozusagen bei sich (oder auf sich ) selbst "ausdrucken".

Tagesspiegel Ihr erwartet von den Nutzern euerer Anlage ein grofles Vertrauen zur Maschine und zum Internet. Für mich war Tätowieren bisher immer mit dem Medium des Tätowierers verbunden. Solche Personen stellt man sich als Feinhandwerker, als fligrane Techniker vor, die über große Erfahrungen und Fertigkeiten verfügen. Kann eine Maschine so etwas simulieren ?

CT: Das bringt uns zurück zum Stichwort vom "demokratischen Netz". Wir haben die Baupläne für die Maschine und die Betriebssoftware bewußt als Shareware ins Netz gestellt, damit alle Zugriff haben. Die Benutzer müssen selbst aktiv werden. Das Prinzip der Maschine ist relativ einsichtig und einfach. Es ist ein ganz einfaches Modell. Die Nutzer bauen das Gerät selbst zusammen und dabei bekommt es dann für jeden Konstrukteur eine persönliche Geschichte. Beim Zusammenbauen wird die Maschine personalisiert. Man lernt sie kennen und faßt Vertrauen zu ihr. Das ist auch existentiell notwendig, weil CyberTattoo Spuren auf der Haut hinterlässt, die man unter Umständen ein Leben lang mit sich herumträgt. Man kann bei Versagen dann höchstens noch versuchen Vertrauen in die Laserindustrie zu entwickeln.

CT: Es geht bei der Arbeit natürlich auch um die Frage nach dem Vertrauen ins Netz und der Zuverlässigkeit der Informationen aus dem Netz.

Ist es wirklich das Bild auf meinem Monitor, das mir jetzt in die Haut tätowiert wird ? Wenn ich auf die Maus geklickt habe ist es zu spät. Der Vorgang wird gestartet. Kann ich dem Netz trauen ? Ganz anders als im Print stoßen wir im Internet oft auf Informationen, für die kein großer Verlag oder Name verantwortlich zeichnet. Für die Zuverlässigkeit von Informationen gibt es oft keine Referenzen, keine Beglaubigungen. Erst in der HTML Version 3.0 ist jetzt eine Funktion integriert, die es erlaubt Fußnoten in den Hybertext einzuarbeiten. Man glaubt an das Medium, man glaubt an den Hype, man glaubt ans Internet, aber bei unserer Tatto-Maschine hat dieser Glaube eine Konsequenz.

Tagesspiegel: Ihr arbeitet mit einer kleinen Auswahl von Motiven. Da gibt es das z.B. das Steuerrad des Internet-Explorer. Angesichts der Unmenge von Graphiken und Motiven, die man im WWW finden kann, ist das eher eine magere Auswahl. Sie steht in einem krassen Mißverhältniss zur faszinierenden Menge an graphischen Möglichkeiten, die das Netz bietet und auf die man als Nutzer einer Cybertattoo-Maschine zurückgreifen könnte. Netzsurfer knnten sich ihre Tätowiermotive beim Surfen mitbringen, sie könnten so ihre virtuellen Reisen dokumentieren, so wie die wirklichen Seefahrer das früher getan haben und immer noch tun.

CT: Da ist die Referenz zu Cybersex wieder da. Cybersex heißt doch: Ich gehe ins Netz, hole mir da etwas ab und das hat keine Konsequenz über den Moment hinaus. Bei unserem Projekt geht der Kontakt über diesen flüchtigen "Seitenverkehr" hinaus. Das Motiv selbst ist uns egal. Wir haben uns erstmal auf die Ikonographie des Netzverkehrs beschränkt wie z.B. die Symbole der Browser. Es ist doch faszinierend wie die Metaphern der Seefahrt die Fortbewegung im Netz verdeutlichen sollen, gepaart mit dem Entdeckergeist der Neuen Welt. Der Totenkopf ist übrigens aus dem Netz, Logo einer Softwarefirma.Wir fordern die Leute auf uns Motive zu schicken, die sie unterwegs entdeckt haben. Für die wollen wir dann Steuerungsdateinen bauen, damit man sie auch benutzen kann. Entscheident ist für uns die Idee, diesem flüchtigen Moment, den man am Netz hängt Ausdruck und Dauer zu verleihen, mit Hilfe einer Tätowierung. Die menschliche Haut als Dokument existiert ja noch über den Tod eines Menschen hinaus....

CT:....wie man, wenn man im Netz unter dem Suchbegriff "tattoo" sucht, am Beispiel des Ötzi eindrucksvoll demonstriert bekommt. Sein Körper hat Tätowierungen 4000-5000 Jahre lang unterm Gletscher konserviert. Da hat sich ein kulturelles Artefakt bis heute erhalten. In die spiralförmigen Tattoos der Maori z.B. sind ganze Familiengeschichten eingraviert. Persönliche Ereignisse, die, wie Visitenkarten, offen im Gesicht getragen werden, die aber nur derjenige decodieren kann, der den kulturellen Kontext kennt. Uns ist auch aufgefallen, daß das Medium Internet dem Menschen im Zusammenhang mit dem Computer eine ganz neue Körperlichkeit zuspricht. Es wird dabei manchmal von einer "californian ideology" gesprochen. Früher war ein Computerfreak 14 Jahre alt und voller Pickel, wärmte sich seine Hamburger auf dem PC und aß den ganzen Tag Pizza. Heute gelten PC- und Internetbenutzer als jung, erfolgreich und durchtrainiert. Statt zu "hacken" "surfen" sie durch die virtuelle Welt. Der Tätowierkult, der vor einigen Jahren lanciert wurde, ist von dieser Gruppe stark frequentiert worden. Wir wollen uns aber wie gesagt nicht daran hängen, wollen keinen neuen Modekult aufrufen, der sagt: "Hey Jungs und Mädels holt Euch das neue CyberTattoo !" Wir wollen nur fragen: "Ist Euch das Netz sowas wert ?"

Tagesspiegel: Das führt uns zur Frage der Auswertung, der Aufführung, Wie soll CyberTattoo in die Öffentlichkeit gebracht werden ?

CT: Auf der Cybertattoo-Homepage gibt es einen Link zu den Events. Dort kann man sich über Termine und Orte der Vorführungen informieren. Wir werden das ganze erstmal in einem relativ kleinen Rahmen vorstellen, Ende November im Galerieraum luxus. cont . Anfang Dezember sind wir dann in London.

Tagersspiegel: Habt Ihr an eine kommerzielle Verwertung, an Patentierung oder Lizensierung von Cybertattoo gedachtin. Habt ihr Euch schon mit dem Patentrecht befaßt ?

CT: Es ist ausdrücklich nicht an eine kommerzielle Nutzung der Maschine gedacht. Wir haben das Projekt der Allgemeinheit bereits jetzt in die Hand gegeben, indem wir die Baupläne und die Software ins Netz gestellt haben. So gesehen ist Cybertattoo bereits da. Jeder kann es nachbauen, jeder kann es benutzen....auf eigene Verantwortung. Diese Metapher war uns wichtig: Jeder muß, wenn er mit Cybertatto arbeitet, selbst entscheiden, welche Auswirkungen das Netz auf ihn und auf seinen Körper haben soll.

Tagesspiegel: Als ich den Raum betreten habe und Euere Installation zum ersten Mal sah, hatte ich für einen Moment eine sehr starke Assoziation. In einem TV-Beitrag über einen Distrikt in Nordaustralien, der die aktive Sterbehilfe legalisiert hat, hat man eine "Euthanasiemaschine" gezeigt. Die Anlage besteht aus einem Laptop und einer angeschlossenen (Injektions)-Nadel, die man mit einem Mausklick auf ein Antwortfeld auf dem Monitor auslösen kann. 15 Sekunden nach dem Mausklick kann man sich so selbst eine tödliche Lösung injizieren. Bekommt euer Projekt auf diesem Hintergrund nochmal eine andere Bedeutung ?

CT: Ich habe den Beitrag auch gesehen, habe das Micz erzählt und der hat erfolglos versucht mit diesem australischen Arzt Kontakt aufzunehmen. Es stimmt, daß es da Parallelen zu unserer Arbeit gibt. Der Arzt fehlt, so wie der Tätowierer fehlt. Bei beiden Modellen handelt es sich um eine ausgelagerte Ethik. Es finden keine Entscheidungen Dritter statt, sondern man ist mit der Maschine allein. Es ist die Maschine, die den Akt vollzieht.

Tagesspiegel: Tätowierung ist, auch unter juristischen Aspekten, sicher eine äußerst sensible Angelegenheit Habt Ihr Euch mit der Gefahr von Regreßansprüchen beschäftigt ?

CT: Wir haben juristischen Rat eingeholt und es ist vollkommen klar: In Deutschland darf man ohne eine Lizenz nicht tätowieren. Aber es handelt sich hier um ein Kunstprojekt. Es kann uns natürlich passieren, daß man das Gerät beschlagnahmt, aber dann ist man schon zu spät gekommen. Die Information ist bereits in der Welt, im Netz. Die Maschine an sich ist vollkommen unwichtig, sie kann jederzeit überall von jedem nachgebaut werden.

Das Gespräch führte Gunter Becker

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