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Standing here in Future Shock Afro-amerikanische Popkultur, "Myth Science" und die Informationstechnologien der "Dritten Welle" Ulrich Gutmair
Tatsächlich ist die Geschichte schwarzer Science Fiction in den USA die Geschichte einer Inversion und Dekonstruktion der gängigen Motive des Genres. Sun Ra - und später Amiri Baraka - haben dieser Inversion ein treffenden Namen verschafft: Myth Science. Myth Science erscheint als Begriff unter anderem in einem der vielen, ständig wechselnden Titel des Sun Ra Arkestra und beschränkt sich dabei nicht nur auf futuristische Imagologien: "Astro-black mythology, astro-timeless immortality, astro-thought in mystic sound...." (Sun Ra) Myth Science ist der Source Code unter den Oberflächen von Sun Ras Free Jazz, P-Funk und Detroit Techno gleichermaßen. Tatsächlich haben Jazz und die P-Funker Funkadelic/Parliament Detroit Techno vor allem in Bezug auf rhythmische Komplexität und den experimentellen Gebrauch von Keyboards, Soundeffekten und die Benutzung des Studios als Instrument beeinflußt. Myth Science ist um die blinden Flecken und komplexen (Re)konstruktionen afro-amerikanischer Geschichte angelegt. Sie verhandelt einen institutionalisierten Rassismus, der gesellschaftliche Diskurse, Stadtplanung und Ökonomie gleichermaßen durchdringt. Detroit gibt in diesem Zusammenhang einen der Schauplätze des massiven Verfalls der klassischen Industrien ab, die schwarzen ArbeiterInnen - angesichts einer unüberwindbaren Color Line und der Mechanisierung der Landwirtschaft im Süden der USA - sichere Arbeitsplätze, korrekte Löhne und weniger Segregation versprochen hatte.
Future Shock 1973 gilt im allgemeinen als der historische Fixpunkt, an dem die Strategien einer rigiden, fordistisch-keynesianisch organisierten Ökonomie durch die neuen, flexiblen Formen von Produktion und Kapitalakkumulation abgelöst wurden. Die zunehmende Informatisierung und Automatisierung von Produktionsprozessen beschleunigte vor allem die Erosion afro-amerikanischer Arbeitsplätze: Das rassistische Bildungswesen der USA prädestinierte schwarze AmerikanerInnen für eben jene Arbeiten, die im Zuge der Rationalisierung der Industrien obsolet wurden. Die Rede vom "Zukunftsschock", auf den die oben genannte Textzeile verweist, hatte Heidi und Alvin Tofflers Bestseller "Future Shock" seit 1970 populär gemacht, der die Verbindung zwischen den ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderungen der Zeit mit den neuen Informationstechnologien herstellte: "We call that 'future shock' [x] - when too much change hits too fast for people to absorb, they then began to show signs of either deteriorated decision-making capability or disorientation; indeed, in some cases, stress and illness and so forth." Track 2 von Mayfields Album - "Future Shock" - nimmt den Faden von "Back to the World" auf, um aus der Widescreen-Perspektive auf die Schlangen afro-amerikanischer Männer und Frauen vor den Suppenküchen zu zoomen, die die Transformation schwarzer Working Class in eine afro-amerikanische Lower Class dokumentieren: "The price of meat / Higher than the dope in the street". 1973 war auch das Jahr, in dem zum erstenmal Roboter in den us-amerikanischen Industrien eingesetzt wurden. Ziemlich genau zehn Jahre später coverte Herbie Hancock "Future Shock" auf einer gleichnamigen LP. Anstelle eines Drummers, der in Mayfields Funk-Version wie an einer Stanzmaschine zu arbeiten scheint, regieren hier die Programmierungen von Drumcomputern, Moogs und anderen Synthesizern. "Future Shock" ist als Album um Hancocks Hit "Rockit" herumgebaut, der damals als Soundtrack zu Pacman und Space Invaders, den Botschaftern der neuen thought-ware industries, massiv Air Time und die Charts eroberte. Während das Cover von Mayfields "Back to the World" afro-amerikanische Alumni, Obdachlose und GIs vor dem Hintergrund eines Industriekomplexes zeigt, übersetzt auf Hancocks "Future Shock" bereits eine Computeranimation, was man sich unter dem Cyberspace vorzustellen hat: Eine endlose Matrix von Daten, an deren Horizont sich bunte Pixelcluster vor dem Vakuum des Raums abheben. Auch wenn die Tofflers zwischen dem Essen mit Ronald Reagan und dem letzten Management-Seminar keinen Gedanken daran verschwenden konnten, wieso und inwiefern die Idee des Future Shock gerade in der afro-amerikanischen Popkultur ihre spezielle Verwendung gefunden hat, kommt ihre ursprüngliche Idee des Begriffs der Sache ziemlich nahe: "I can remember when the term occurred. I was interviewing a friend, a psychologist, on the telephone, about culture shock - the disorienting effects of suddenly being thrust into a completely alien world. In the course of that conversation, as she described the symptoms or the consequences of that, it occurred to me that you could be plunged into an alien culture in your own society if an alien future arrived more rapidly than you were prepared for." Für die schwarzen Communities in den Dritte-Welt-Zonen der us-amerikanischen Industrieregionen überlagerten sich Future Shock und Culture Shock bis zur Unkenntlichkeit - als Erfahrung rassistischer Einschreibungen in gesellschaftliche Institutionen und die Sphäre der Produktion gleichermaßen. Rassismus erzeugt Effekte von Depersonalisierung und Desorientierung in einem Akt der aktiven "Entfremdung", der sich als Alienation somit wohl besser bezeichnet. Die Perspektive afro-amerikanischer Künstler ist notgedrungen eine andere als die der Tofflers. Es ist der rassistische Blick der weißen Mehrheitsgesellschaft, der Afro-Amerikaner zu Aliens macht und eine von rassistischen Ausschlußverfahren geprägte Ökonomie, die schwarze Frauen und Männer als erste den Future Shock von Automatisierung und flexibler Akkumulation spüren läßt. In den 80ern dann ist Detroit mittendrin im Future Shock - und bereits bankrott: In Motor City wurden schon in den 70ern die computergestützten Techniken der Rationalisierung durchexerziert. In der Stadt, in der die Working Class in den 60ern Aufstände organisiert hatte, deren Autogewerkschaften als Motoren der Desegregation in und außerhalb der Fabriken galten und in der es gar eine "League of Revolutionary Black Workers" gegeben hatte, machten Informationstechnologien und Industrieroboter große Teile der Arbeiterschaft der Fordwerke arbeitslos. 1980 hatten 21% der Bevölkerung die Stadt verlassen, die Arbeitslosenrate betrug trotzdem weiterhin ungefähr 12%. Die New York Times sprach von urbanen Landschaften, "marred by vacant factories, warehouses and great open spaces where such buildings once stood." In derselben Stadt kam eine alternative Form von Zukunft aus dem Radio. Seit April 1977 sendete The Electrifyin' Mojo auf WGPR 107.5FM von abends 10 bis 3 Uhr morgens Kraftwerk, Telex, Parliament, Devo, Moroder, Funkadelic oder The Clash in die Transistorradios. Mojo bastelte jeden Abend an einem Patchwork aus britischem New Wave, kontinentalem Elektropop und Detroiter P-Funk, ein Mix der in den Köpfen seiner Hörer und in den Clubs der Stadt zur Blaupause von Techno synthetisiert wurde. Unter dem Namen Cybotron veröffentlichten Juan Atkins und Rick Davis 1981 mit "Alleys of your mind" auf ihrem Label Deep Space einen Electrotrack, der sich - durch Electrifyin' Mojos Show promotet - fast 15.000 mal verkaufte. Das Gros der Kopien ging dabei in Detroit über die Ladentische und unterlief wie die Programme Mojos die Grenzen zwischen "weissem" und "schwarzem" Entertainment: "I had people come up to me and say they thought Cybotron was some white guys from Europe. People couldn't believe we were actually Detroit musicians," erklärte Atkins. Atkins' bald folgendes Soloprojekt Model 500, das die Geburtsstunde von Detroit Techno markierte, nutzte technologische Terminologien und elektronische Sounds als anti-rassistische Tools, indem es sich konsequent allen Zuschreibungen verweigern: "It has nothing to do with Ford. I wanted to use something that repudiated an ethnic designation - something that was really techno - because I've always been into a techno/futurist thing. We always used numbers and computer phrases like Jon 5, 3070, 'Enter', 'Clear'... So it was following a tradition."
Astro-Black Mythologies Myth Science manifestiert sich auf Plattencovern wie Parliaments "Mothership Connection" als eben diese Inversion einer klassischen Science-Fiction Perspektive: Parliament erscheinen als eben gelandete Außerirdische, die mythische Mother Africa wird kurzerhand mit dem Mutterschiff vertauscht. Das Bild des Afro-Amerikaners als Außerirdischem oder Cyborg hat eine lange Tradition, die von Ralph Ellisons "Invisible Man" über Sun Ras Terminologie der "Astro-Blackness", Lee Perry (der sich selbst als Maschine bezeichnet hat) und der "Blacktronic Science" Bernie Worrells bis hin zu Detroit Techno reicht: Auf Robert Hoods Album "Nighttime World Volume I" (1995) folgt auf Track 4 - "The color of skin" ein Stück mit dem Titel "Electric Nigger". Walter Benjamins Feststellung, daß Geschichte immer die Geschichte der Sieger, die Geschichte der Unterdrückten aber eine unsichtbare ist, fand ihre literarische Entsprechung und den Bezug auf die Kultur schwarzer AmerikanerInnen bereits in Ralph Ellisons 1952 erschienenem Roman "Invisible Man": "Ich bin ein Unsichtbarer.... - weil man mich einfach nicht sehen will. Wie die körperlosen Köpfe, die man manchmal auf Jahrmärkten sieht, als wäre ich von erbarmungslosen Zerrspiegeln umgeben. Wer sich mir nähert, sieht nur meine Umgebung, sich selbst oder die Produkte seiner Phantasie - ja, alles sieht er, alles, nur mich nicht. Meine Unsichtbarkeit wird auch nicht durch eine besondere bio-chemische Beschaffenheit meiner Haut bedingt. Die Unsichtbarkeit die ich meine, ist die Folge einer eigenartigen Anlage der Augen derer, mit denen ich in Berührung komme, des Baus ihrer inneren Augen, jener Augen, mit denen sie durch ihr körperliches Auge die Wirklichkeit sehen. Ich beklage mich nicht, ich protestiere auch nicht. Manchmal hat es sogar sein Gutes, unsichtbar zu sein, aber meist ist es doch sehr bedrückend. Man stößt dauernd mit denen zusammen, die schlecht sehen können. Manchmal hat man sogar Zweifel an der eigenen Existenz.... Und wer seiner Gestalt nicht gewahr wird, lebt einen Tod. Nachdem ich etwa zwanzig Jahre existiert hatte, wurde ich erst lebendig, als ich meine Unsichtbarkeit entdeckt hatte." Der Kern afro-amerikanischer Kultur war und ist ein blinder Fleck - oder, um in Sci-Fi Terminologien zu bleiben: ein "schwarzes Loch", das aus der Verschleppung und der folgenden Unterdrückung afrikanischer Kultur und Religion in der Sklavenwirtschaft der Vereinigten Staaten resultierte. Auch der bereits 1940 erschienene Bestseller Richard Wrights, "Native Son", benutzte ein ähnliches Bild für die kulturelle Alienation seines Protagonisten Bigger: Er fühle sich, als ob er durch ein Guckloch in die Welt schaue. Das Wissen um das schwarze Loch der Geschichte der Versklavung als Teil afro-amerikanischer Kultur und Identität verdichtete sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem immer wiederkehrenden Mythos des nur durch ein Guckloch mit der dominanten weißen Realität verbundenen Außerirdischen oder Aliens. Als Antwort auf rassistische Zuschreibungen und Ausgrenzungsmechanismen griffen afro-amerikanische Schriftsteller, Poeten und Musiker nach Mythologien aus der Zukunft, die sonst selbst als Projizierung mehrheitsgesellschaftlicher Ängste dienen. "Synchronising the rays of black darkness / Into visible being" erklärte Sun Ra im Duktus des "Invisible Man" zu seiner Aufgabe.
Myth Science vs. "The Primitivist Myth" Erst die Abwesenheit von ästhetischen Zielen und musikalischem Wissen unter den großen Jazz-Künstlern erklärt demnach ihre Fähigkeit zur Kunst. Eine Kunst, die zwangsläufig nicht den Kriterien abendländischer Kultur folgt, sondern als primitivistische Praxis der Inspiration eine eigene, vom westlichen Menschen kaum erreichbare Sphäre kreiert: "In music primitive man generally has greater talent than civilized man. An excess of culture atrophies inspiration, and men crammed with culture tend too much to play tricks, to replace inspiration by lush technique under which one finds music stripped of real vitality." So Hugues Panassie in "The Real Jazz" (N.Y. 1942). Daß Jazzmusiker im Gegensatz zu solchen romantizistischen Zuschreibungen in ihrer Mehrzahl Kenntnisse abendländischer Musik besaßen und dieses Wissen ständig erweiterten, hat Ted Gioa in "The Imperfect Art. Reflections on Jazz and Modern Culture" (New York/Oxford 1988) en detail bereits für die erste Generation des Jazz nachgewiesen. Ornette Coleman war eines der Lieblingsziele primitivistisch inspirierter Kritik. Colemans Musik sei gerade durch ihre Ignoranz klassischer Musik wie auch der Jazz-Tradition so großartig. Coleman konterte mit seinem Manifest der 'Harmolodics': "What is harmolodics? Harmolodics is the use of the physical and mental of one's own logic made into an expression of sound to bring about the musical sensation of unison executed by a single person or with a group. Harmony, melody, speed, rhythm, time, and phrases all have equal position in the results that come from the placing and spacing of ideas. This is the motive and action of harmolodics." (in Downbeat, Juli 1983) Die Sci-Fi-Terminologien folgender Generationen - von Funk über Electro zu Techno und Drum&Bass - lassen sich in diesem Sinn also auch als parodistische Verweise auf primitivistische Mythen lesen: "Although the romanticist notion of the inspired primitive - one who creates beauty out of pure ignorance - may have some appeal to the jazz critic or writer, to the jazz musician it's just one more way of keeping his work separate from the 'serious' traditions of western culture. In this sense, manifestoes such as Coleman's statement on harmolodics possess a certain truth of their own - a truth, however, which even Coleman's most fervent admirers may have overlooked," so Ted Gioia.
The multi-self of words is energy for thought Aus der Perspektive von Detroit Techno betrachtet wird Barakas Text vermutlich anders gelesen werden als durch seine Zeitgenossen an der Black Liberation Front. Baraka hatte sich bis Anfang der 70er stark mit den Vorstellungen eines radikalen, konservativen Black Nationalism identifiziert. Im Gegensatz zu dessen konkreten Vorstellungen afro-amerikanischer Staatenbildung und abgeschlossener Wirtschaftsräume favorisierte Baraka jetzt, auf dem Weg zum marxistischen Dritte-Welt-Künstler, eine futuristische Perspektive. Anstatt also über ägyptische Königreiche und die glorreiche Vergangenheit schwarzafrikanischer Imperien zu referieren, dekonstruierte Baraka die üblichen Konnotationen eines westlichen Technologievokabulars und beschrieb die Geschichte von Afrikanern in der Diaspora als Gefüge und Strukturen, in denen Technik, Geschichte, Biologie, Religion und Musik miteinander verkettet sind. Die "unseen communal computers" in der Philosophie Barakas sind auf die kollektive Praxis des Sun Ra Arkestra (das in Barakas Text auch erwähnt wird) ähnlich anwendbar wie die kollektive Produktion von rhythmischen Modulen in Detroit Techno. Ra bestand bis zu seinem Tod auf der Struktur des Orchesters als kollektive Form der Musikproduktion und des Zusammenlebens. Die Big Band war bereits in den 50ern ökonomisch unsinnig geworden und längst durch die kleineren Einheiten der Combos abgelöst worden. Sie repräsentierte immer auch eine Version von 'black community', die konservative wie progressive schwarze Intellektuelle bis heute als quasi-authentisches, aus der afrikanischen Herkunft abgeleitetes Gegenmodell zur modernen weißen Gesellschaft konstruiert haben. Mit der Gründung von Saturn Records machte Ra sich schließlich von den Konzernen der amerikanischen Musikindustrie genauso unabhängig wie von den rassistischen Beschränkungen, die in die ökonomischen Grundlagen dieser Industrie eingeschrieben waren, und sich in stereotypen Repräsentationen schwarzer Kultur an der Oberfläche des Apparates zeigten. Auch das Wortspiel vom Arkestra, das die Arche (Noahs) mit der Entität des Orchesters verband, machte deutlich, daß es kollektive Erfahrung und religiöse Transformation waren, die seine Konzerte generieren sollten: "The music is you." Die Metapher des unseen communal computers wird spätestens für Detroit Techno zur gängigen Praxis. Die Tracks der Detroiter werden als Teile eines immer wieder neu entstehenden Mixes produziert, die für sich keinerlei Bedeutung haben: "I did the loops to explain that a track has no beginning and no end. It also changes your thinking as a DJ. The record is not building up - you have to build it into your mix. It takes more skills to play it. It can be you who has a brilliant idea. When people start to produce records because they know a certain crowd will like it, it defeats the purpose. It is no longer an art form." Soweit Jeff Mills [x] über seine Endlosschleifen auf "Cycle 30" und die Definition von Techno als Kunstform. "Unity" ist hier keine politische Frage im traditionellen Sinn, sondern eine Frage von Technologie a la Foucault. Die Technologien der Produktion, der Zeichensysteme, der Herrschaft und des Selbst sind für Detroit wie für Baraka aneinander angeschlossen. Ob die 32 Nullen am Ende seines Texts auf den kosmischen Ur-Sound oder Bits und Bytes verweisen, bleibt offen.
Techno Rebels Abgesehen von der Dekonstruktion und Inversion von Images und ethnisierenden Zuschreibungen spielt sich Myth Science an der Basis der Produktion musikalischer Codes ab. Sun Ra benutzte immer die gerade neuesten Soundgeneratoren, also Maschinen, deren Nutzung noch nicht festgelegt war. Die Synthese von Funk mit den Sounds europäischen Synthiepops in Detroit Techno ist das Ergebnis einer Arbeit im Testfeld, und damit weniger die Folge des Einsatzes bestimmter Maschinen, wie die Konstruktion ganzer Schulen und Marktsegmente auf den Schaltkreisen der 303/808/909 gerne suggerieren. Während DJ-ing und Sampling in HipHop vor allem an der Dekonstruktion und Rekombination musikalischen Materials interessiert sind, erkundeteten die Detroiter die noch unentdeckten Zwischenräume in den Programmierungen von Soundmaschinen und das Rauschen, das per definitionem Nicht-Information ist, sich also allen Zuschreibungen entzieht: "Sampling things, then recording them onto cassette, sampling them again, recording them onto cassette again and so on. The idea is to pick up noise, to create some sort of different feel to the music." (Derrick May). Vor allem Detroits 'Belleville Three' Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson betonten immer wieder den Einfluß von Alvin Tofflers "Third Wave" (1980), das die Informationstechnologien als dritte industrielle Revolution versteht und den Hacker als 'Techno Rebel' gleich mitdenkt. Während die "Third Wave" für die neo-liberalen Cyberökonomen Kaliforniens zur Bibel und der Hacker zum Mythos des flexiblen Ein-Mann-Unternehmens wurde, definierten die Detroiter die Idee des Techno Rebels für ihre eigenen Zwecke um. Dessen radikalstes Image kreierten Underground Resistance auf ihrer 1992er LP "Revolution for Change": Anonyme Männer, die in schwarzen Kapuzenpullis über das technologische Know How verfügen, mittels elektronischer Soundattacken die Welt aus den Angeln zu heben. Auch diese Version von Myth Science hatte Sun Ra übrigens bereits vorher formuliert: "They got nerve gas, I can play nerve music." Während die Cyber-Mythologien boomten, die die neuen Informationsindustrien Kaliforniens in Folge generierten, wurden die Techno Rebels des postindustriellen Detroit in den USA weitgehend ignoriert. In der ersten Hälfte der 90er mußten vor allem die Technopioniere Detroits schließlich mitansehen, wie globale Märkte mit billigen, vor allem europäischen Kopien ihrer Future Sounds übersättigt wurden. Für Derrick May haben die Kulturindustrien damit die Technorevolution in den schwarzen Ghettos verhindert. Stattdessen war Techno als Rave-O-Lution 1988 in England, 1991 in Berlin angekommen, die Images und Sounds der Myth Science wurden endgültig zu globalen Codes. Auch das Modell der ekstatischen Party und des endlosen Mix repetitiver Beats, das in den New Yorker Clubs schwuler Puertorikaner und Afro-Amerikaner Ende der 70er erfunden worden war, wurde bis zur Unkenntlichkeit auf Love Parades und ähnlichen Veranstaltungen verzerrt und via MTV zum Showcase weißer, heterosexueller Maskulinität transformiert.
Während Aliens, Roboter und Cyborgs mehr denn je zu leicht verwertbaren und
beliebig interpretierbaren Images geworden sind, läßt sich ein repressiver
Multikulturalismus an aktuellen Hollywoodproduktionen wie "Men in Black"
festmachen, wo Aliens nicht mehr mit Pumpguns vernichtet werden, sondern
unter permanenter elektronischer Überwachung paternalisiert und in die
Identitäten ordentlicher weisser Amerikaner wie etwa Sylvester Stallone
gepresst werden. Ob Myth Science als Werkzeug der Dekonstruktion ethnischer
Zuschreibungen damit gescheitert ist, sei dahingestellt. Im Umgang mit
real-existierenden Aliens greifen Staat und Politik dagegen verstärkt auf
klassische Polizeimethoden zurück. Auf dieser Seite der Wirklichkeit hat
Sun Ra also weiterhin das Wort: "They're trying to make it illegal for
people from outer space to enter the USA; like mexicanos and chicanos."
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last update: 10.10.1997 |