"Intuition", vorgespiegelt.
Zeichnungen von Kai Schiemenz im Berliner „loop - raum für aktuelle kunst“.

Martin Conrads



Idealerweise nähert man sich den Bildern von Kai Schiemenz über Konstruktionen - gedankliche, räumliche, konzeptuelle. Seine 4 bisher erschienenen, comicähnlichen Bücher könnten als Pläne gelten, sich den Zeichnungszusammenhang zu erschließen, in dem seine Konstruktionen zu Modellen des Betrachtens werden. „...nur wenn man sich nicht darum bemüht“ ist eines seiner Bücher betitelt und verweist somit auf eine Grundfigur zum Betrachten seiner Arbeiten: Intuition, die mit Willen wie Wissen gleichermaßen spielt.

Die nun in Rüdiger Langes „loop“-Galerie gezeigten, neuen Arbeiten des in Berlin lebenden Künstlers sind in ihren „Intuition“ vorspiegelnden gedanklichen Aussagen so sichtbar, so offensichtlich, so klar, daß sie wieder zu blinden Flecken ihrer vermeintlich adäquten Blickweise werden. Schiemenz’ Zeichnungen bedienen sich dabei Anspielungen aus den so verschiedenen wie komplexen Genres Sport, Architektur, Cartoon oder Illustration. Man könnte von „Antäuschung“ sprechen bei Schiemenz’ Versuch, den Betrachter nie auf fixe Punkte einzulassen - eine Rundumbewegung mit taktischen Querverweisen. Die am Computer erstellten Zeichnungen suchen keine Effekte entlang analog/digital auf. Ihnen ist eine Bildsprache zugeteilt, die die Didaktik von Sachbüchern, die spröde Klarheit von Stadtplanungsmodellen oder die Sprunghaftigkeit des Comic von innen nach außen dreht - vom Kopf ins Bild, vom Bild in den Raum, vom Raum in das Bild vom Raum, von dort wieder in den Kopf, so daß Spiralen gedacht werden, in denen sich der Betrachter mit seiner körperlichen wie intellektuellen Position vermittelt wiedererkennt.

In allem geht es dabei um die Transportation von Zeichnung und Zeichnungsbegriff hin zu einem Verständnis von Bild als angedachtem Raum. (Idee -> Hand -> Rechner -> Präsentation -> Kopf -> Körper -> Raum). „Linie“ als Grundgedanke jeder Zeichnung wird dabei zu einem, dem umgebenden Bild- wie Ausstellungsraum schon integrierten Moment jeden räumlichen Beginns. Konkrete lineare Prozesse der logischen Wahrnehmung entstehen dann aus abstrakten Bild/Raum-Modellen - Schiemenz’ Gedanken können durch leichte Drehung des Körpers nachvollzogen werden.

Der Aufbau der Ausstellung ist eine fein ausgewählte Anordnung unterschiedlicher Schichten von räumlicher, thematischer und bildhafter Komplexität:
Die 3 Zeichnungen an der Querwand der Galerie sind an architekturüblichen Metallschienen angebracht, was schon an sich eine Abstraktion hin zu Projektionscharakter, mitgedachter Unfertigkeit und eingearbeitetem Zeitbewußtsein bedeutete. Mehr noch sind aber diese Schienen wiederum über einer Fläche gleich stechend gelb bedruckter Papiere befestigt, die, reflektierend, Wand wie Galerieraum in ein im Gesamten Angenehmes wie Aufmerksamkeit einforderndes Licht tauchen. Auf den Zeichnungen selbst: Ein containereskes, minimalistisch anmutendes Raummodell, von außen betrachtet, das zwischen 2- und 3D-Optik changiert, eine das Innere eines Ungers-Baus erinnernde Halle, in der sich unter einem halbtransparenten Boden die Umrisse eines Basketballfeldes abzeichnen, schließlich ein fast schon bilderrätselhaftes Motiv, auf dem ein Bogenschütze auf ein an eine akademietypische Stellwand appliziertes Waldbild zielt: „Bad Ilsenburg, 1981“.

Mit auf präzise Kryptik getuntem Bewußtsein versehen, wendet sich der Blick auf die gegenüberliegende Fensterwand des Raumes, die Schiemenz milchglasig mit dem großformatigen Bild eines zusammengerollten Große-Klinke-Kabels versehen hat. Durch die Fragmentierung des Bildes in die einzelnen Flächen des in Rahmen parzellierten Fensters ergibt sich eine Spiegelung der oben beschriebenen Fläche der grellen, an Scheinwerferlicht erinnernden Drucke.

Fällt nun Tageslicht durch die Galeriescheiben in den Raum, so entsteht, im übertragenen Sinn, die Idee einer reproduzierten Spiegelung oder Entgegnung der Helligkeit, wobei das halbtransparente Motiv des Kabels als Ziel einer doppelseitigen Beleuchtung oder Projektion erscheint. Zudem werden die Motive auf den Zeichnungen zu Verweisen auf das räumliche, sichtbare Außen (der zielende Bogenschütze, der Wald, die Vorstellung eines anderen Raumes).

Bei Dunkelheit hingegen, wenn die Galeriebeleuchtung angestellt ist, erscheint das Kabelbild nicht wie eine Membran zwischen einem erfahrbaren Innen und einem sichtbaren Außen, sondern wirkt wie die letzte erfaßbare Grenze einer lediglich nach Innen konzentrierten Raumkonstruktion. Die Scheinwerfermotive korrespondieren dann mit dem künstlichen, elektrischen Licht tatsächlicher Scheinwerfer, wobei Schiemenz’ Zeichnungen nun umso mehr auf die innere Logik des Räumlichen hinweisen, auf Geometrie, imaginiertes Außen und vermeintliche bauliche Abgeschlossenheit.

In beiden Fällen wird deutlich, daß für Schiemenz das Bewußtsein über Konstruktionen im Raum und auf Papier gleiche Bedeutung trägt: seine Ausstellungskonstruktion ist selbst Teil einer möglichen Zeichnung, einer Umkonstruktion des Gedankens über räumliches Projektionsvermögen.

Wie zusammenfassend erklärt das Bild an der Längswand der Galerie alle beschriebenen Fäden in klarer wie mehrschichtiger Form: Ein Mann erklärt einem zweiten, dessen Augen mit einem Tuch verbunden sind, die Zeichnung, in der sie sich gerade befinden. Die Anzahl räumlicher Geometrien, farblicher und dimensionaler Ebenen meint wohl das gleiche, wie der Satz, der wieder einfällt, und den sich die beiden Gestalten gegenseitig andeuten könnten...nur wenn man sich nicht darum bemüht.


Kai Schiemenz - Zeichnungen. loop- raum für aktuelle kunst. 23.1.-20.2.99. Mi-Sa 14-18 Uhr. Schlegelstr. 26/27 (Aufgang 2, 1.OG), D-10115 Berlin.

Martin Conrads ©1999
[x] conrads@zedat.fu-berlin.de






last update: 20.04.1999

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