2.November 1997





SCREAM - slasher/über/slaherfilme

Chris Flor/Florian Clauß


[text als audiofile]


Was wäre unsere letzte Dekade vor der Jahrtausendwende ohne die ganzen Metareferenzen. Wahrscheinlich nur halb so fruchtbar für die Unterhaltungsindustrie. Es scheint, als müssen die ganzen Traumatas dieses Jahrhunderts für das nächste Millenium durchtrainiert werden, um wieder einen ordentlichen Realitätsbezug zu bekommen. Dies oder ähnliches dachte bestimmt Wes Craven, als er sein letztes Projekt SCREAM anging oder auch nicht.

Die Slasherfilme der 70er und 80er sind durch. Das Thema ist ausgereizt und sollte schon längst im New York Museum of Art unter die Vetrine zum Einstauben abgelegt werden. Damals tummelten sich in diesem Subgenre alle möglichen Exploitation- und Independent-Filmemacher, allen voran natürlich John Carpenter mit HELLOWEEN und ehemaliger Pornofilmer Sean Cunningham mit FREITAG DER 13. Die Filme erzählen Geschichten, wie es Amerika und der Rest der Welt schon immer gerne wissen wollten: Wie ergeht es eigentlich den Teenies nachts -slash- allein -slash- im Wald, wenn irgendsoein verrückter Schlitzer mit Maske und Umhang sein Unwesen treibt. Meistens blieb von beiden Parteien nicht viel übrig, am Ende gerade soviel, daß es für eine Fortsetzung reicht. Und so füllen sich die Regale unsere heimatlichen Videothek mit Nightmare on Elmstreet 1-7, HELLOWEEN 1-5 und FRETAG DER 13. 1-8.

Und wie macht man nun die ewigen Sequels den Tennies von heute attraktiv? Wes Craven hatte da eine nette Idee, die ganz in der Linie unseres Kommunikationszeitalters liegt. Aus den vielen verschiedenen Slashers wird eine Figur, die sich dann Myers/Jason/Freddy nennen kann und auch sonst ziemlich transparent wirkt. Alles, was man dafür benötigt, kann man im Supermarkt um die Ecke und in der Videothek besorgen: eine Maske und ein ausreichendes Horrorfilm-Wissen.
Das Kostüm und die Filme werden zu einer corporate identity: Man muß sich die Filme reinziehen, wie man sich das Kostüm überziehen kann. Es besteht keine Differenz mehr. Man braucht nichteinmal mehr eine starke Traumatisierung. Nur ein bisschen spleenig muss man sein, so Genration Y mäßig, oder so.

Die Tennies im Film unterhalten sich nicht nur ständig über Horrorfilme, sondern gucken die dann auch brav als eine Art Überlebenstraining. Der Film im Film. Die flimmernde Mattscheibe mit den ganzen 80er Ramsch steht im vollen Farbkontrast zum eigentlichen Film. Das eine aufgedunsen und düster, das andere poppig und bunt.
Ganz so neu ist diese Idee natürlich nicht. Spätestens nach PULP FICTION mußten auch die Major-Studios erkennen, daß es da noch eine außerfilmische Realität gibt, eine quasi über-filmische, die sich durchaus mit der innerfilmischen in Verbindung bringen läßt und das ganze noch einen Unterhaltungswert hat. Wohin das geführt hat, zeigen die derzeitigen High-End-Produkte aus dem Science Fiction Bereich. Ein Pool an Zitaten veredelt durch brillant gerenderte Oberflächen machen das Kinoerlebnis zu einem Orientierungsproblem, wenn man sich nicht entscheiden kann, auf welchen der acht Filme man nun einsteigt.
Natürlich gab es das schon vor PULP FICTION, und ganz besonders im Horrorfilm, nur hat es eben Tarrentino so explizit auf dem Punkt gebracht, daß man sich davor hüten muß, PULP FICTION zu erwähnen.

Im Horrorfilm bestand schon immer das Problem, den Schrecken so real wie möglich zu gestalten, daß er über die Ränder der Leinwand hinaus nichts an seiner Wirkung verliert. Hier gibt es grob zwei Ansätze. Der erste versucht den Zuschauer so sehr in den Bann des Geschehens zu ziehen, daß er voll im Dunkeln der Leinwand aufgeht. Das kann über den Suspense funktionieren oder über hyperreale Schockeffekte, wie sie im Splatterbereich eingesetzt werden.
Der zweite Ansatz macht den Film im Film zum Thema, sei es durch mordende Kameramänner wie in PEEPING TOM oder Killer, die ihre Exzesse auf Video dokumentieren, wie in HENRY - PORTRAIT OF A SERIALKILLER, um den Fiktionsvertrag zwischen Zuschauer und Kinofilm zu brechen. Durch die Thematisierung des Trägermediums gewinnt der Film eine metafilmische Realität, die entweder die gestellten Szenen noch realer scheinen lassen oder eben das Gegenteil, den Film als Film entlarvt, aber dadurch ihn nichts an Schrecken verlieren läßt. Ähnliches hat Wes Craven schon in seinem letzten Freddy-Teil versucht, wo im Film selber ein Teil von NIGHTMARE ON ELMSTREET gedreht wird und Feddy Krueger irgendwann durch die Leinwand steigt und das Filmteam tyrannisiert. Vorteil dieses Verfahrens ist, daß man sämtliche Meinungen und Ansichten der realen Welt über das Produkt im Film mitaufnehmen kann.
Das funktioniert aber nur denjenigen Sparten, um die schon ein Kult besteht, wie um Freddy Krueger oder eben den Slasherfilmen. Gleichzeitig werden aber damit bestimmte Antizipationen aufgebaut, die Wes Craven in seinem neusten Werk SCREAM zu einem ganzen Regelwerk stilisiert, das dann auch hauptsächlicher Suspenseträger wird.

Keine dieser Regeln hat jedoch Gültigkeit. Das enttäuscht den Zuschauer, der sich nach der Vorankündigung schon auf die turbolenten Verwicklungen freute, die entstehen, wenn Metaebene und Fiktion aufeinandertreffen wie Schwarzenegger auf Stallon. Der Junge, der sagt "Ich komme gleich wieder" tut dies, und zwar in der Maske des Slashers. Sidney, die Heldin überlebt, obwohl sie erst wenige Minuten vor dem Show-Down entjungfert wurde, und der Splatterfan wird nicht aufgeschlitzt, eben weil er sich nicht umdreht, als der Killer hinter ihm steht.
Das aufgestellte Regelwerk dient also nur dem dramaturgischen Effekt, Antizipationen zu wecken, die dann hintenrum wieder gebrochen werden. Eben deshalb funktioniert der Film noch.

Ein weiteres Mittel, das Genre des slasherfilms auch in den ausgehenden Neunzigern noch funktionstuechtig zu halten ist neben der Expansion auch eine gewisse Komprimierung. Der Film expandiert indem er sich öffnet, durch Verweise auf andere Filme und durch weiterschreiben des Metatextes, der diese Filme bespricht. Somit Verknüpft sich Scream selbst mit der ihn umgebenden Realität. Aber im Vergleich zu den Genre prägenden Filmen Halloween oder Prom Night werden sowohl Stoff als auch Raum extrem verdichtet. Die Schlitzerfilmen der alten Schule verwenden einen Grossteil ihrer Erzählzeit damit, das zukünftige Opfer vorzustellen, es dunkel werden zu lassen, den Killer mehrmals das haus umschleichen und seinem anfangs ahnungslosen opfer wiederholt nahekommen zu lassen, um dann doch wieder von der Veranda zu schleichen. Meist wird mindestens eine Stunde darauf verwendet, den showdown vorzubereiten, und wenn dieser dann anfängt, dauert es eine weitere halbe stunde, bis das Kreischen wieder verstummt. Der Rest ist Abspann.

Scream liefert gleich mehrere dieser Showdowns und jagt das nächste Opfer mit blitzendem Messer die Treppe hoch, bevor der Zuschauer instinktiv seine Armlehne nach dem Knopf für den Suchvorlauf abtastet. Auch würde kein Zuschauer die tristen Farben des billigen Filmmaterials der späten 70er ertragen, die langen Szenen in Dunkelheit, die noch billigeren Syntylowstring-flächen des Soundtracks. Auch auf räumlicher Ebene wurde scream extrem zusammengestaucht. Keine Jagden durch lange Schulflure wie bei Prom Night, keine ausgedehnten Kamerafahrten wie in Halloween. Die Schnitte sind schnell, wechseln zwischen auktorial und persönlich, hierbei wieder zwischen Sicht des Opfers und des Killers und schaffen es so, den slasherbelesenen Zuschauer noch zu beunruhigen.
Hierbei schielte Craven im besten Fall mit einem Auge auf reality tv, mit dem anderen auf mtv, im schlimmsten fall mit beiden augen auf natural born killer. Aber auch wenn mindestens zwei Jahre hinterher, irgendwie funktioniert es dann doch noch.

Der Film stellt noch ein Merkmal der Neunziger vor, das irgendwie auch schon ausreichend durch diskutiert schien: Die Austauschbarkeit der Protagonisten, ihr zuruecktreten hinter ihre funktion. die killer in scream verhalten sich zu einem freddie krueger oder michael meyers, wie beispielsweise Backstreet Boys zu Bruce Springsteen. waehrend der eine noch Authentizitaet zu behaupten versucht, funktionieren die anderen gerade durch ihre Austauschbarkeit. freddie krueger taucht dann auch in scream fuer zwei sekunden als hausmeister fred gespielt von Wes Craven selbst auf. Mit seinem grün/roten ringelpulli steht er ausserhalb des geschehens, innerhalb des filmes ohne funktion, alleine mit seiner authentizitaet, den langen schulflur vergangener Zeiten fegend. bei scream ist die verkleidung, die munchs schrei nachempfunden ist, entscheidender als die Biografie des Täters. sie ist der Signifikant, der seinen traeger der funktion des killers zuordnet. in die maske schluepfen im laufe des filmes drei verschiedene personen, und das mit der absicht zu toeten. hierbei wird der Rollentausch, den Norman Bates vollfuehrt, als er sich das Hauskleid seiner Mutter ueberstreift, oder Jasons Mutter , die in Freitag der dreizehnte eben als Jason toetet, ad absurdum getrieben, da ihm die Dimension der identifikation mit einer Biografie genommen wird. Die Maske ist nichts als Schablone fuer den Slasher, die von seinem Träger dann auch nur zweidimensional ausgefüllt wird.

Nachdem wir uns den Film in der Mitternachtspremiere angesehen und Tonaufnahmen für unseren Beitrag gemacht hatten, trenne ich mich von Anja und Flo und fahre durch die kalte nacht nach Hause. Vor dem Einschlafen beschäftigen sich meine Gedanken noch eine Weile mit Metareferenzen und anderen solchen Sachen. Ich muss ungefähr eine Stunde geschlafen haben, als plötzlich eine zur Unkenntlichkeit zerstuemmelte Frau, offensichtlich Opfer eines geisteskranken und gesichtslosen Killers durch die Zimmerdecke bricht und auf dem Boden neben meinem Bett mit einem schmatzenden Rums aufknallt. Nach zwei Minuten fasse ich den Mut, das Licht anzuschalten. Der Leichnam ist schon verschwunden, aber an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Also denke ich weiter an Metareferenzen und andere solche Sachen, bis die Sonne aufgeht.

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- 2.November 1997 -


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