convex tv. Sendung vom 05. Juli 1998




[jingle on demand]

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ich bin doch nicht schorsch kamerun - goldenen zitronen
Ulrich Gutmair

DEAD SCHOOL HAMBURG! GIVE ME A VOLLZEIT ARBEIT!
ARBEITSLOSENZAHLEN WERDEN INZWISCHEN AUF DREI STELLEN HINTERM KOMMA VERLAUTBART
UND DIE GOLDENEN ZITRONEN HABEN EINE NEUE PLATTE GEMACHT.

MIT GRADE MAL DREI GITARREN NEUNZIG % ELEKTRONISCH!!!!

ANSONSTEN:::::: COMPUTER :::: STIMMGENERATOREN ::: INTERNATIONALE GÄSTE:

DEZENTRALISIERT UND AUF NEUEM LABEL
GOTTSEIDANK ENDLICH IN ENGLAND

FRÜHER GALTEN DIE ZITRONEN IM LINKSRADIKALEN HAFENSTRASSEN UMFELD
ALS IRGENDWIE POLITISCH UNZUVERLAESSIG_______

WEGEN SCHLAFANZUGHOSEN UND IHRER VORLIEBE FÜR SCHLAGERPLATTEN:

....................FUN PUNK.............

ALS EIN PAAR JÄHRCHEN SPÄTER WIEDERVEREINIGTE DEUTSCHE MODERATOREN IM REGIERUNGSFERNSEHEN GELANGWEILT LIVE_POGROME BETREUTEN WAREN ES GOLDENE ZITRONEN; DIE AUF KLARTEXT BESTEHEN WOLLTEN:

DAS BISSCHEN TOTSCHLAG LIEF ALS VIDEO AUF KABELKANÄLEN IM IN UND AUSLAND:

INZWISCHEN HABEN DIE ZITRONEN TECHNOPLATTEN GEHÖRT UND SICH AN NEW WAVE PLASTIK MUSIK ERINNERT: MODERNE CLASSIC

UND JA:
DAS HÖRT SICH GUT AN :
SMART:
STILSICHER
UND IM FOLGENDEN
MIT KOMMENTAREN VERSEHEN ZUR EIGENEN TEXT::::POLITIK,

DEN ACHTZIGERN

KRAFTWERK

KALTEN FUTURISMEN

ATARI TEENAGE RIOT
VERBAL RADIKALISMUS

UND ZUM KONZEPT DER BAND ALS ALTERNATIVE ZUR ELEKTRONISCHEN EINSAMKEIT:

KETTEN BILDEN!
(und auf die remixe von pulsinger und unit moebius warten)

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relais p. - paris bei minus 545
Martin Conrads

Paris befindet sich in einer contemporären Retrofuturismusphase: im Quartier Latin werden die unlängst angeklebten Mai 68 Plakatrepros wieder decollagiert, kleine Verlage verlegen SF-Klassiker, in denen riesige Makroben gegen leise Wissenschaftler kämpfen, und auf halber Höhe des Eiffelturms hängt ein haushohes Jules Verne-Porträt. Und während ebenda eine nicht minder große Leuchtschrift die Anzahl der Tage bis zum übernächsten Jahr in den Smog strahlt -kennt man ja von arte, heute ist übrigens minus 545, läuft im Hôtel des Ville eine denkwürdige Ausstellung über urbane Utopien: "cétait lan 2000", das war das Jahr 2000; daß das aber schon in den 60ern stattfand, glaubt neben Baudrillard auch Alain Bublex, der seine Glooscap-Utopien gerade bei Vallois im 6. hängen hat. Im 11. stellt Serge Comte Pixelbilder aus, ach so, Oropax aus, außerdem hat jemand Space Invaders aus bunten Mosaiksteinchen an Denkmäler und Galerien gemörtelt. Und die Polizei fährt auf Roller Blades Blade Runner. Thomas Koener tritt sogar im Louvre auf, Pan Sonic gleich vor vielen Hunderten und gibt es hier eigentlich jemanden, der nicht Nike trägt? Zumindest tragen die Animateure in Eurodisney zur Zeit nicht Disney; sie streiken.

Existieren in Berlin auch schon diese digitalen Kinderwunderblöcke mit aufgepfropfter Kamera? Liegt hier auf jedem Redaktionsschreibtisch rum und man fragt sich, wer das Ding als erste ans Minitel anschließt. Tolle Buntwelt, dieses Minitel übrigens. In Paris ist eben alles so schön eshtétique und nouveaux und eine révolution numerique und hat parfum global. Der "nouvel Observateur" versuchte sich daher vor wenigen Wochen in einem rührselig-biederen Versuch, seinen Lesern Techno zu erklären, weiteres wird an dieser Stelle jedoch erspart. Auch die "Technikart" ist wie immer, so auch im Juli, an der Kunst des Maschinistischen interessiert, aber auch, das Wort mußte fallen, am Fußball, und das neue "crash" macht mit Super Discount auf dem Cover auf, dessen Video ja leider doch nicht von Felice Varini gestaltet, sondern nur inspriert ist. Der echte stellt zum Trost oder Trotz gerade bei Jennifer Flay aus. "lohnt, wenn man ein Auge zukneift".

Gibt es in Frankreich eigentlich jetzt mehr Spielkonsolen als Heimcomputer? Ja, jetzt schon. Nach einer gerade vom Ministerium für Kultur und Kommunikation veröffentlichten Studie ist im Frankreich der letzten zehn Jahre Gebrauch und Besitz von elektronischen Medien explosionsartig gestiegen.

Die "Le Monde" sorgte sich daher auf ihren Kulturseiten sofort um ihre Kultur und sieht sich genötigt, die culture de la machine arg zu dissen. "Die Fernbedienung", heißt es da in einem Kommentar, "erlaubt mitterweile, von einem Moment auf den anderen von einem philosophischen Gespräch auf ein Videospiel umzuschalten. Die Grenze zwischen der Kultur und den Freizeitvergnügungen, der Kunst und der Entspannung wird immer unschärfer. Wo soll man die Differenz ansetzen, wenn sich alles in derselben "Bildschirmkultur" auflösen wird?"

Liebe Le Monde, wir von convex tv. verzichten deswegen wieder seit längerem auf die Bildschirmübertragung...

"Bourdieu, übernehmen Sie!"


Martin Conrads für convex tv. aus Paris.

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net.radio days '98 - special interview

rachel backer (backspace.org/london) und adam hyde (radioqualia/adelaide)
interview von stefan schreck und ulrich gutmair im testbed juni 1998 (eng.)


Etwa 10 verschiedene Gruppen aus Riga, Wien, Lubiljana, London, Budapest, Adaleide und Amsterdam trafen sich Anfang Juni in Berlin zu den net.radio days ’98, trimm dich.
organisiert von mikro und convex tv. gab es 5 tage Workshops, Diskussionen und Präsentationen zum Thema net.audio .
zwei davon bat convex tv. zur talkrund ins testbed: Rachel Backer von backspace aus London und Adam Hyde von radioqualia aus Adaleide, Australien.
Topics: Propaganda der Massenmedien und Konzepte für net.casting:

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Kannibalen der Kulturen der Welt
Florian Clauss


In dem SpaghettiSplatterfilm "Anthropomophagus" herrscht auf einer kleinen Insel irgendwo in der Riviera ein traumatisiertes Männlein, das Frau und Kind aus Hunger nach einem Schiffsbruch aufaß und dies zur Tugend seines Daseins macht. Menschenessen oder Menschenfressen. Postcivilisation strikes back. In dem letzten Teil des Filmes bekommt der Anthropomophagus ein Messer in den Bauch gerammt und beginnt im Sterben seine eigenen Gedärme aufzufressen. Pathologischer könnte der Soffwechselkreislauf nicht dargestellt werden.

Wenn aber die Anthropophagie oder mit anderen Worten der Kannibalismus auf die Kultur übertragen wird, kommt dabei ein Symposium mit hochgradiger Besetzung heraus, veranstaltet von dem lateinamerikanischen Institut der Freien Universität Berlin: letztes Wochenende tagten unter anderen Ulrich Gumbrecht, Michel Taussig, Dietmar Kamper und Homi Bhabha in dem Haus der Kulturen der Welt.
Die Metapher Kannibalismus liefert in den aktuellen Diskussionen um den Stand der Kulturen der Welt neue Ansätze. So kann die Anthropophagie als Akt der Kulturaneignung gelesen werden. Das bedeutet, Kulturen organisieren sich über einen organischen Kreislauf, den Stoffwechsel. Fremde Einflüsse werden aufgenommen, verdaut und ausgeschieden. In Zeiten des Postkolonialismus und der weltweiten Vernetzung ist dies sicher ein Schlüsselbild. Doch wo hier die Schwelle der Identitätsbildung unterschritten wird und die Vergiftung des eigenen Organismus beginnt, das ist auch ein historisches Problem. Inge Baxman stellte auf dem Symposium das Konzept von Oswald de Andrade vor, einem brasilianischen Avantgardisten, der in den 20ern wirkte.

o-ton
sound

In dem Film "Day of the Dead", der letzte der Zombietrilogie von George Romero, ist die gesamte Welt von Zombies übersät und die letzten Menschen wohnen im Untergrund. Die Figur des Zombies kommt aus der Peripherie der verdrängten Ängste einer Zivilisation zurück in die Mitte und besetzt dort den Raum, den das Denken domestiziert hat. Eine Auferstehung des Fleisches im ganz unchristlichen Sinne. Der Zombie ist die totale Präsenz des Körpers ohne eine Perspektive auf Transzendenz, denn seine Ewigkeit ist auf die Reproduktion eines Triebes festgeschrieben, nämlich dem Verspeisen von Menschenfleisch ohne es zu verdauen. Die Heiligsprechung des Fleisches, wie sie in der Eucharistiefeier praktiziert werde, sei auch eine Heiligsprechung des Stoffwechsels, denn in ihr drücke sich die Abhängigkeit der Körper von den Stoffen der Welt aus. So beschrieb es Dietmar Kamper in seinem Vortrag "Meuterei gegen den Kannibalismus". Kreuzigung, Tod, Auferstehung folge demnach dem Muster Essen, Verdauen, Ausscheidung. Hans Ulrich Gumbrecht setzte in seinem Vortrag „Der sanfte Biß: Anthropophagie als Modell der Kulturaneignung" einen klein wenig weitergerückten Fokus auf das letzte Abendmahl.

o-ton Gumbrecht über Geschichte der Eucharistie

Der Gedanke der Präsenz liegt nicht weit von Kampers Vorstellung der Gleichmachung.
Alle Menschen sind vor Gott gleich. Und der größte gemeinsame Nenner aller Menschenkörper sei eben der Stoffwechsel. In diesem Kreislauf werde der sterbliche Körper zu einem Ort der Nicht-Identität. Hier könnte das Modell der Kulturanthropophagie neue Impulse geben, eben den Denkprozessen eine neue Materialität einzuverleiben.

o-ton Kamper: über Behälterdenken als Modellform des europäischen Denkens

Auch Gumbrecht sieht in der gegenwärtigen Wissenschaftspraxis Probleme, die sich aus dem Denken der Aufklärung ableiten.
In seinem Vortrag zeichnet er zwei abstrakte Modelle von Kultur: Die Subjektivitäts- und die Präsenzkultur. Die erste arbeitet über die Zeit mit einem Absolutheitsanspruch, die zweite entwickelt sich im Raum in Echtzeit.

o ton Gumbrecht: über die Subjektivitätsskultur / Aneignung der Welt

Die sich aus der Subjektivitätskultur ableitende Wissenschaften könnten die Welt nicht mehr im Augenblick fassen, da diese zu vielschichtig geworden sei. Generell existiere eine Sehnsucht nach der Produktion von Präsenz. Hieraus ließe sich eine Kultur der Interpretation ableiten, die sich nicht mehr mit der Erschließung von Intensitäten zufrieden gebe, sondern nach den dahinterliegenden Trieben, daß heißt Körpern suche, die das produzieren.

sound

Dies ist sicher auch nichts Neues. Solch eine Rückbesinnung auf den Körper taucht in der Moderne immer wieder auf. Nicht zuletzt in den künstlerischen Konzepten der Avantgarde. Hierfür stehen Namen wie Artaud, der das Theater der Grausamkeit als ein Theater der Präsenz entwickelte oder Proust, dessen Erzähler in Swanns Welt mit dem Kauen eines Biskuits in Verbindung mit Tee einen Erinnerungsflash bekommt.
Jedenfalls scheint sich heute wie damals das Modell der Kulturanthropologie als Metapher eignen, um gegenwärtige Tendenzen greifbar zu machen.

o-ton Baxman
präsenzkultur in der geschichte->beispiele->überleitung zu oswald de andrade->unvermögen der heutigen zeit->alles wiederholt sich

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mikro trend mina: das erste mal...auf platte
Chris Flor

Bei Konzerten von mina wird getanzt, zugehört und gegrinst. Gegrinst hauptsächlich darüber, wie die Musik sich verschiedener Hörgewohnheiten und -strukturen bedient, um den Zuhörer zu manipulieren. Das ist Pop. Die so verarbeiteten Genres reichen von Indie bis zu elektronischer Musik. Aber Post-Rock möchte man es dann doch wieder nicht nennen, dafür passiert einfach zu viel.

In der letzten Woche stellten mina gleich zwei Veröffentlichungen vor: am Samstag im 'Kunst und Technik' fand die Release-Party zu ihrer Schallplatte auf 'maobeat' statt, und am Donnerstag wurde in der Galerie berlin-tokyo ihr Beitrag zum neuen berlin-tokyo sampler Spielkreis3 gefeiert. Und wenn man sich die Stücke dann Zuhause anhört und ein bißchen lauter aufdreht muß man wieder grinsen.

Weil mina eine richtige Band sind, und das heißt bei ihnen auch, daß alle Mitglieder bei Produktionen gleichermaßen beteiligt sind, kamen zum Interview alle Vier. Und alle sprachen ihre Aussagen durch ein Zehnmarksmikrofon in meinen Rekorder, bei dem ich leider vergessen habe, das Dolby einzuschalten.

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