Ellen Ullman: 'close to the machine'

Anja Heilmann


[text als audiofile]

ellen ullman ist seit ca. 20 jahren software entwicklerin und consultant , hat in mehreren zeitschriften essays veroeffentlicht. mit diesem buch legt sie ihr erstes belletristisches werk vor, das sich durch eingestreute fussnoten sanft in wissenschaftlichen kontext bettet: den beitrag einer figur, die ullman heisst. sie lebt in san francisco und hat, wie ihre umgebung, als virtuelle kleine firma von anfang an das hopping von einem auftrag zum naechsten gewaehlt. mit jedem neuen projekt pendelt sie den highway nach silicon valley, um sich an einen neuen schreibtisch zu setzen, mit einem neuen team von programmierern zu arbeiten, so lange bis die software geschrieben und erprobt und der auftrag beendet ist.

ullman beschreibt ihren arbeitsalltag, abgesunken in die tiefen des maschinencodes, mythosbefreit, dennoch cool, als routinierte normalitaet. die zunehmend digitalisierte welt ist abhaengig von funktionabler software - dem gegenueber steht das aus insider sicht vermittelte hierarchische chaos ihrer programmierung, das die fragilitaet des gesamten systems verdeutlicht. software, deren kernprogrammierer laengst weitergezogen sind, wird ueber jahre hinweg weiterentwickelt und veraendert, bis der code in einem zustand ist, in dem man ihn zwar laufen lassen kann, der jedoch in seiner gaenze nicht mehr verstanden wird. auf diese art gewachsene software durchdringt inzwischen saemtliche lebensbereiche, den finanzmarkt beispielsweise oder luftueberwachungssysteme. ullman blickt hinter die pastellfarbenen interfaces , dringt vor in fruehe speichermodule und zerlegt die hardware.

fuer sie ist der computer eine projektion eines kleines teils unseres selbst, dem teil naemlich, der sich logik, gesetz, ordnung und klarheit verschrieben hat. gleichzeitig zeigt die im buch beschriebene entstehung einer neuen software zur registrierung und vernetzung von aidspatienten, dass menschliche logik bei der uebersetzung in einen maschinellen code schnell an grenzen stoesst. ullman ist sich dieser tragik bewusst und sie weist auf die gefahren eines missbrauchs hin. ihre rolle als programmerin, die rituale einer digital gepraegten identitaet, hinterfragt sie stets mit. im alltag verwischen die grenzen von arbeit und freizeit, verhaltensmuster werden uebernommen.

als "ueberzeugte serienmonogamistin", wie sie sich selbst bezeichnet, wechselt sie die liebhaber und liebhaberinnen wie ihre arbeitsvertraege auf zeit. im privatleben wird dann schon gern mal ueber uralte unixhandbuecher geplaudert, gebouncte emails werden am telefon vorgelesen und im copyshop der menschenentleerten, weil telekommunizierenden vorstadt erkennen sich die programmierer an ihrer verdaechtig aufmerksamen art im umgang mit menschen, was aus zu vielen einsamen stunden vor dem monitor herruehrt. die veraenderungen durch den virtuell gepraegten alltag beobachtet ullman gleichzeitig mit sensibiliaet und archaeologischer analytik. sie lebt mit dem forschreiten der technik als grundlage ihrer materiellen existenz und hat doch nach all den jahren etwas an dynamik verloren, sich auch mit den neuesten programmiersprachen zu beschaeftigen.


"close to the machine" ist weit entfernt von einer slicken hackergeschichte. zwar gibt sich ullman der maschine gern hin, doch bevor die zweite pizzabestellung geliefert wird, hat sie sich aus der mensch/maschine verkabelung geloest und kombiniert numerische logik wieder mit menschlichem verstand und sinnlichkeit. insofern loest das buch im gewissen sinn die stereotype vorstellung einer programmierenden frau ein, doch ullman fuehrt keine offene genderorientierte debatte. cyberfeministische ansaetze sind ihr nicht fremd, ihr selbstverstaendlicher umgang mit dem medium benoetigt keine explizierung, sie ist schon laengst erwachsen.

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