schisma 2000 - blumfelddiskurs(rocker) [de]

Ulrich Gutmair


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Eigentlich waren Blumfeld schon längst vergessen. Blumfeld, das einzige erträgliche Modell Diskursrock, das man damals hören mochte, als alle wirklich interessanten Dinge sowieso in den Clubs passierten, also eben nicht zuhause, an dem Ort wo sich Blumfeldplatten so wohlfühlen. Vor einem halben Jahr hat es deswegen noch durchaus Verblüffung hervorgerufen, als unser Kollege Micz erzählte, er habe mal wieder Blumfeld gehört und eigentlich sei das ja schon toll. Naja, hat man sich gedacht, der Mann wohnt schließlich in England und hat wahrscheinlich Heimweh.

Dann steckte plötzlich ein Tape im Rekorder, das sich irgendein DJ von einer Promo CD gezogen hatte, und siehe da: es ward Blumfeld, der Old Nobody. Nach kurzer Verblüffung über die slicke, radiokompatible Produktion genoß man bald die Versuche der Hamburger, endlich doch Pop zu werden. Unschuldig, schwelgend und ohne Hemmungen auch völlig kitschige Sätze von sich zu geben. Wenn man Madonna mag, warum sollte man diese Platte nicht mögen wollen?

Ist doch nur eine Platte, die ganz nett produziert ist, die uns dabei warme Erinnerungen an die 80er beschert, die doch eigentlich gar nicht so schlimm waren, im nachhinein betrachtet. Eine Platte, die man zum Einschlafen hören kann, und die vermutlich Frauen dazu animiert ihre Freunde zu verlassen, weil die im Vergleich zu Jochen Diestelmeyer schlecht abschneiden, was die ernsthafte und explizite Formulierung tiefer Gefühle angeht. Die Liebe halt. Das alles ist gänzlich unironisch gemeint, nur damit wir uns nicht falsch verstehen. Das sind nunmal die Fakten und daher gibt es wirklich keinen Grund, ausufernde Traktate zu verfassen und sich in die Tiefen einer Exegese zu begeben, die sich mitunter nicht scheut, dabei in kosmische Dimensionen vorzudringen.

Daß über kurz oder lang Diskursrockhörer wie ihre schreibenden Diskursrock-Kollegen trotzdem an die Analyse gehen würden, machte das Vergnügen eigentlich auch nur noch größer. Denn was wollen Diskursrocker mit Blumfeldplatten anstellen, außer sie gründlich zu analysieren? Und wie vorausgeahnt taten es die aus ihren WGs längst ausgezogenen Feuilletonisten den Noch-WG-Bewohnern nach und in kürzester Zeit überboten sich die Tageszeitungen und Special Interest Magazine mit wahlweise tiefschürfenden, amüsierten oder apokalyptischen Überlegungen. Der Wille zu Dramatik und Größe brachte dem Feuilletonleser schon bald Sätze wie den folgenden auf den Früstückstisch: „Blumfeld sind Teil eines erlöschenden Zeichensystems." Das klingt natürlich klasse nach dem Ende des Todesterns, knallt und ist irgendwie auch schon wieder lustig. Tagessieger bleibt bis auf weiteres allerdings die Süddeutsche, die es tatsächlich Kienzle-und-Hauser-mäßig schafft, nicht eine, sondern gleich zwei Rezensionen abzudrucken - pluralistisch korrekt die eine Pro, die andere Contra -, um kurz darauf auch noch über die Rezeptionsgeschichte der eben erschienenen Blumfeld Platte zu philosophieren.

Olala, denkt sich da der amüsierte Betrachter, und wundert sich. Nur kurz natürlich, dann gehts an die Arbeit, die die hörenden und schreibenden Diskursrocker einem wieder mal aufgedrängt haben. Und auf den zweiten, kritischen Blick, der der naiven Freude folgt, offenbart sich wieder mal das uralte langweilige Drama, das uns seit bald fünfhundert Jahren in den Ohren liegt. Es ist das Phänomen, das man polemisch vielleicht als protestantisch-neurotische Beziehung zum Wort beschreiben könnte. Dort treffen sich dann die Kritiker mit Blumfeld. Denn sowenig ihre Kritiker wirklich Popkritiker sein können, sind auch Blumfeld nicht wirklich Pop, so hart sie auch daran arbeiten. Unweigerlich und immer wieder schieben sich beim Hören auch der neuen Blumfeld bald ganze Bibliotheken langsam aus dem Augenwinkel ins Blickfeld, all diese Bücher und trockenen Wahrheiten, die man ja eigentlich immer dann vergessen will, wenn man die Stereoanlage einschaltet. Wie sagte der alte Hannes Wader vor kurzem in einer Talkshow? „Wie hart man auch daran gearbeitet haben mag, am Ende muß es sich leicht anhören..." Stimmt Hannes. Und wenn Blumfeld auf Konzerten afro-amerikanischer Popkultur Respekt zollen und gar nicht mal schlecht Marvin Gaye und Michael Jackson covern, wie man hört, dann wird das Dilemma erst richtig offenbar. Es macht sich auf der Ebene der Texte genauso bemerkbar wie auf der des Sounds. Denn trotz aller Versuche, die raffinierten Arrangements von Disco, Soul und ihren Folgen nachzustellen, klingt Old Nobody meistens doch eher nach solider teutonischer Studioarbeit, die von all den Kritikern natuerlich sowieso gar nicht gehört werden KANN, weil sie am Text kleben wie weiland Martin Luther. Ja, leider Luther. Das „suus wittenbergensis", das Schwein von Wittenberg, als das ihn die Wandgemälde bayerischer Gegenreformation wahrscheinlich nicht ganz zu unrecht beschimpft haben.

Die Antwort auf die Frage, was die neue Blumfeld jetzt eigentlich darstellt, erklärt sich damit ex negativo dadurch, was sie eben dann noch nicht so ganz ist: nämlich Pop. Was wiederum nicht heißt, daß es nicht auch auf Old Nobody all diese wunderbaren Momente geben würde. Tatsächlich gibt es auf dieser Platte genügend Platz, um ergriffen zu sein, um zu versinken. Und Augenblicke, in denen Dinge gesagt werden, die sonst nie gesagt werden. Und allein schon deswegen darf man den alten Niemand und seine Freunde ins Herz schließen. Er hat sein Bestes gegeben und wir sagen Respekt.
Und jetzt können wir vielleicht mal wieder über was anderes reden....Leg mal die Mayfield Platte auf. Total Extrem.


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