Warum ich Thomas Eller bin!

Sam Rose


Bei allen Bemühungen sämtliche Bereiche der Welt zu erforschen, Wirklichkeiten zu erkennen und dann zu beweisen, es sei so; zu messen, quali- und quantifizieren, schlußendlich zu wissen; aus dem Wissen noch eine -schaft zu machen, atemlos, - ist es Angst vor etwas, was man nicht weiß, was einen bedroht, - ist es die Sehnsucht nach einer terra inkognita, oder ist es der schiere Perfektionsdrang der keine Lücke lassen kann, bis alles restlos aufgeklärt ist? Trotz aller Versuche aber, die barocke Idee, eine Landkarte im Maßstab 1:1 herzustellen, zu verwirklichen, widersteht ein Bereich unseren Bemühungen äußerst wehrhaft, wie dieses kleine Dorf in Gallien. Heerscharen, Legionen, bewehrt mit modernsten Kategorien bringen nicht wirklich Licht in die letzte terra inkognita. Und die Kämpfe werden teils erbittert geführt, flauen dann wieder ab weil keine Aussicht auf Erfolg besteht. Dort müssen besondere Kräfte wirken. Wie heißt dieses Land, das wir nicht kennen? - SELBST! Quid?, fragt sich Cäsar, dieses Riesen-EGO, das immer noch den ganzen Weltenkreis erobert, und seine Nachfahren, die aus ES ICH machen wollten. Die ICHe, die das ICH erforschen, sich dennoch nicht fassen können, immer wieder entschwinden die Muster, die Symptome verschieben sich. Unfaßbar geht das immer so weiter, wird man in Spiralen herumgeführt, und die Landkarten, die der Bewanderte dann zeichnet werden immer genauer, aber man wird das Gefühl nicht los, die Landkarten versperren schon die Sicht. Man sieht nur, was man vorher auf der Landkarte schon gesehen hat. Das ist eine Mode, das mit der Landkarte. Man schaut darauf und weiß genau, welche Krankheit man als nächstes zu erwarten hat. Wie japanische Touristen unserer Psyche besuchen wir die Neurosen, die im Psychoreisefuehrer am besten beschrieben sind. Die Beschreibung zeitigt das Symptom - so mein Verdacht. Oder?

Modekrankheiten: Zunächst ein Ausflug in die Geschichte. Am Ende des Mittelalters, Anfang der Renaissance gab es eine Krankheit, die sich Rosenfieber nannte. Sehr interessant. Wie war das in Woody Allens Was Sie schon immer über Sex wissen wollten" - die eine Episode; er als Hofnarr verklemmt sich in den Keuschheitsguertel der Königin und kriegt das verdammte Ding nicht auf. Die Königin, ganz nervös, ruft immer zu: Schnell, schnell, sonst kommt der König zurück!" Der Narr nicht weniger nervös ruft: Schnell, schnell, sonst kommt die Renaissance und wir malen nur noch!" - So wahr kann Kino sein und so hellseherisch. Jetzt mit der Aidskrise verhält es sich nun offensichtlich wieder genauso.

Aber zurück zum Rosenfieber: Es ist das Spätmittelalter, man fängt an zu malen, als diese Krankheit auftaucht. Damen fallen gleich reihenweise in Ohnmacht, wenn sie Rosen riechen. Auch die Herren sind nicht verschont. Die Krankheit kommt mit Beklemmungen und Atembeschwerden einher, erinnert also stark an unsere Allergien. Von einem Todesfall wird sogar berichtet. Aber das krasseste Beispiel ist das einer Dame, die vor dem gemalten Bild einer Rose in Ohnmacht fiel. Nun will ich ja gar nicht den Wirklichkeitscharakter dieser Krankheit bestreiten. Im Gegenteil, nehme ich die beschriebenen Fälle sehr ernst, glaube den ärztlichen Aufzeichnungen des Spätmittelalters. Aber es ist wohl einfach nicht so, daß man die Rose, als das allein krankmachende Agens zur Verantwortung ziehen kann. So wie man heute versucht bestimmte Agenzien, genannt Prionen, für die Auslösung einer seltsamen Gehirnerweichung zur Verantwortung ziehen zu wollen, ohne (und das ist der eigentliche Skandal) die schon vorherige Gehirnerweichung derjenigen, die aus Pflanzenfressern kurzerhand Kannibalen gemacht haben, als Ausgangspunkt, nicht aber als Begründung zu sehen. Wie beim Rosenfieber aus dem Liebessymbol eine handfeste Krankheit wurde: Die Symptome überlagern sich. Aus einer metaphorischen Schwammbildung wird eine manifeste.

Sie sehen, die Blindheit des Szientifischen ist gleichzeitig eine szientifische Blindheit. ...und spiralförmig geht's hinab in die Erkenntnis-odd-ysee.

Was also wissen wir? - Daß die Symptome sich immer verschieben, daß...

Wie kann man angesichts der Sprünge, die die eigentliche Bewegungsform des Dasein ist, noch an Karten glauben? Sprünge, die nicht vorhersagbar sind, nicht einmal die statistische Streuung, wie sie noch beim Quantensprung ermittelbar ist, kann es geben. Das ist kein Chaos mehr, weil es überhaupt kein System mehr hat. Dieser phänomenale Entzug durch und mittels des Phänomens wird einzig gesteuert, durch unsere Art und Weise des Zugriffs auf die Dinge. Es spiegelt sich ineinander. Sieht man das, ist das, was ist, die Dinge der Welt, und das was diesen Zugriff tätigt, was sich so sicher scheint, das ICH, gleichermaßen ungreifbar geworden. Der Sinn implodiert und der Raum spiegelt sich ins Unendliche. Trotzdem, und das ist die perfide Ironie, das ist nur Erkenntnis.

Die alten Symptommuster greifen immer noch. Das einzelne Ich kann sich dem Muster der kollektiven ICHe nicht entziehen. Die Bastion, wir merken es jetzt das unbekannte Land, das sich der Eroberung immer wieder entzieht, muß, um nicht erobert zu werden, dieses Spiel der Symptomspiegelung spielen. Der Spiegel ist die Abwehr. An dieser Stelle vielleicht setzen die nächsten unserer ironischen Krankheiten an. Die Autoimmunkrankheiten, sich selbst als Feind zu erkennen, sich selbst zu vernichten, diese Krankheiten werden in einem Moment modern, da sich die Spiegeleigenschaft des Selbst als Erkenntnis anzukündigen beginnt. HIV ist nicht nur eine modische, sondern auch eine postmoderne Krankheit. Das Selbst auf sich selbst zu spiegeln, bedeutet den Tod. So kann keine noch so radikale Aufklärung diese Struktur entfalten. Die Landkarte des SELBST bleibt gefaltet, uneinsehbar letztendlich. Und wir brauchen Landkarten um von dieser Tatsache abzulenken. Je mehr sich wissen läßt über das, was mit dieser Funktionsweise der Spiegelung nichts zu tun hat, desto mehr wissen wir darüber, was alles nichts damit zu tun hat. Das ist kein redundantes Wissen sondern eines, das die Welt aufschließt, Raum bietet und Leben ermöglicht. Wir sollten aber den Gedanken aufgeben auf diese Art und Weise irgendwann zum Schluß zu kommen. Der jeweils letzte Raum bleibt unzugänglich. Nicht alles ist in unserer Verfügungsgewalt. Uns selbst als die blinden Flecken der Welterkenntnis einzurechnen, etwa in dem Sinne, daß das Auge nur sieht, weil es sich nicht sieht (einigenfalls durch Sehstörungen das Auge uns zu Bewußtsein kommt; der gesamte Sehprozeß sozusagen auch als eine Störung des Weltgeschehens gewertet werden könnte), sollten wir uns angewöhnen. Ich bin sozusagen die Störung, die das Gefüge außerhalb meiner Selbst wahrnehmend verändert. Ich werde Teil einer Topographie, die mich auch erst erzeugt, ohne daß ich aufgehe darin. Die Differenz, die dadurch entsteht, daß ich ICH werde in einer Landschaft außerhalb meiner, läßt mich nie eine Karte bis zum Ende durchzeichnen. Ich bin Thomas Eller dadurch, daß ich täglich sozusagen, die Landschaft, die sich konstituiert, dadurch daß ich sie störe, neu vermessen muß. Und weil die Landschaft zum Teil einfach nur meine Spiegelung ist, finde ich außerhalb erst einmal keinen festen Punkt von dem aus die Messung vorgenommen werden könnte. Messung ist also gleichzeitig Entwurf. Genau darin liegt die Chance der Entwicklung von Topographien. Wie entwerfe ich meine Karten?








last update: 2.3.1997

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