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Spiegelstadium für Quereinsteiger
"Fort!Da! Cooperations" in der Villa Merkel, Esslingen
Martin Conrads ©1997
Manche leichtherzigen Beobachtungen können in Folge schnell zu unkontrollierbaren Experimenten mutieren. Die Beobachtung: Ein Wiener Psychopathologe trifft seinen Enkel dabei an, wie dieser freudeglucksend mit einer Rolle Zwirn Verstecken spielt und erkennt darin den Versuch, den Unterschied von An- und Abwesenheit nicht nur artikulieren, sondern darüber hinaus darin auch das Fort-und Dasein der Mutter symbolisch darzustellen zu wollen. Der Großpapa: Freud, Sigm., der Enkel bleibt für die Literatur "der Enkel", alles weitere ist bekannt. Nun noch das Experiment: Fort!Da! Cooperations, eine Esslinger Ausstellung, die es sich nicht leicht machen wollte, denn so sehr sie sich auch "als Experiment versteht, auch sie steht für das kontinuierliche Ziel, die Kunst um 1960 mit der Kunst der 90er Jahre in einen Dialog zu bringen." Dann bitte mal eben vom Staub der Lagerräume freimachen und auf die Couch, um Stellvertreterfunktionen durchzuchequen: Was man in der Villa Merkel sehen konnte, war als Dialog gedacht zwischen zeitgenössischer Kunst und (der Öffentlichkeit ansonsten nicht zugänglichen) Werken aus den Beständen der Stuttgarter Staatsgalerie. Was dort gar nicht richtig existiert, soll plötzlich sogar fort sein, damit es hier umso mehr da sein kann, so wohl die Überlegung von Villa-Chefin Renate Damsch-Wiehager.
Da: 20 Künstler, die sich aus einer Liste Werke von Klassikern, vornehmlich aus den 60er und 70er Jahren (Beuys, Warhol, Broodthaers, Gilbert & George etc.) aussuchen konnten, um mit ihnen in einen Dialog zu treten, der zwischen produktivem Mißverständnis, bösartiger Fußnote und ratlosem Kontern auch das ein oder andere gelungene Aufeinandertreffen zur Folge hatte.Woanders nennt man solche Kooperationen was Remix oder setzt ein dezentes "vs." zwischen die Namen der Beteiligten, was bei mißlungener Operation noch die Option auf nur zufällige Zeitgenossenschaft garantiert. Da ist das mit der Kunst schon schwieriger, zumal die Techniken des Blendens und Mischens dort nicht so handlich sind, wo Werk als "Werk" gilt, und dessen physische Präsenz außerdem teuer erkauft und drittens vorsichtige Behandlung verlangen will.
Mathis Neidhart kannte die Szene und meinte, das teuerste für die Ausleihe zur Auswahl stehende Stück -einen Willem de Kooning- für die Ausstellungsdauer bei einem Geldinstitut beleihen lassen zu können. Als Zinsertrag sollte eine Rolex rausspringen, was aber an der Cooperation der Staatsgalerie scheiterte. Fort ist eben manchmal nicht nur nicht da, sondern gelegentlich auch weg: So merkte auch, wer die Villa Merkel gegen Ende des Ausstellungszeitraums besuchte, daß Carl Andres Bodenplatten nicht mehr da waren aber Sylvie Fleurys ursprünglich darauf zum Herumliegen gekommene Stiefeletten im Mondrian-Stil trotzdem nicht fort; sie schmückten nun ganz hübsch das neoklassizistische Fußbodenornament. Auch Isa Genzkens grünes Ellipsoid- Winkelkanu drehte sich einmal selbst im Raum herum und hing folgend nicht mehr an der Wand zwischen Andreas Exners Gartenteichformen, sondern lag wie zum Trocknen auf der Ballustrade abgestellt. Ein paar Schritte weiter trocknete Manzonis eingebüchste Merda d'artista aus (die ja erst zur "Zero Italien"-Ausstellung vor rund einem Jahr schon einmal an gleichem Ort "da" war), nebst Bildern von Josef Albers als gestaltpsychologischem Wunderblock zu John Nixons Minimalabstraktionen. Ein paar Spuren weiter, und aus der Gleichung Kunst = Scheiße wird Kunst = Kapital, ganz im vulgärfreud'schen Sinn also: So wie Freud damals seinen Enkel beim Abwickeln beobachtete, sah sich ein großformatiges Beuys-Photo Gia Edzgveradzes Videoninstallation eines in Pampers gewickelten Mannes gegenüber:"Sexy Sadie what have you done, you made a fool of everyone." Urgestein und Weichei - da wickelt die Revolution ihre eigenen Enkel fort. Ähnlich verwickelt auch Rudolf Schwarzkogler, den Mike Kelleys neben Öyvind Fahlström zum Dialog zitierte, um zwei Entwicklungsphasen seines Werkes zwischen gehandicapptem Pop und Isolationismus zur Tonbandaufführung zu bringen:One Hand Clapping, dem armen Plüschtier wurde arg ausgeteilt - und es hätte auch den Test der Stuttgarter Künstlerin Simone Westerwinter bestanden, der allem Anschein nach auf das Fort!Da! - Rollspiel bezug nahm: Obwohl sie sich eigentlich auf Andy Warhol (rotweiß-karierter Teppich vs. Campbell's Soup ) und Joseph Beuys festgelegt hatte, ließ sie nebenher ein Video abfahren, auf dem sich zwei ihrer Freundinnen in Hochzeitskleidern Abhänge hinunterkugelten - einmal ins grüne Gras, das andere mal auf der PVC-Rampe der Staatsgalerie. Dieser Test - so will es die Legende - geht auf die Maxime des Stuttgarter Akademieprofessors Otto Baum zurück, nach welcher eine Plastik dann gut ist, "wenn man sie einen Berg hinunterrollen kann, ohne daß etwas abbricht."
Nichts abgebrochen hatte sich auch Thomas Hirschhorn - routiniert wußte der Schweizer den Hang zur eigenen Maxime zu bezwingen: Nachdem jeder der beteiligten Künstler um einen Begleittext zum Dialog gebeten worden war, ließ er sich zu einem schlichten "Ich habe Meret Oppenheim gewählt, weil ich ihre Arbeit liebe" hinreißen und versorgte seitdem deren "Liegende im Gras" mit einem Aluminiumpiquenique aus Krokodilstränen. Entgegengesetzte Motive schienen hingegen für Vadim Zakharow ausschlaggebend gewesen zu sein: mit einem Bild von Marcel Broodthaers, das er in eine Claes Oldenburgianische Gummischleuder eingespannt hatte, wurde unter dem Segen der Konzeptkunst ein Pastorengewand unter hintergründig häretischen Beschuß genommen. Nicht weit davon entfernt leuchteten Pietro Sanguinetis Megavisions-Pop-Botschaften auf, korrespondierend mit Kosuths Neonsatz:"This object, sentence, and work completes itself while what is read constructs what is seen".
Diesen Satz könnte man sorgenfrei auf jenen Text übertragen, der leider nicht direkt (oder aber unbewußt ?!, s.u.) zur Austellung dazugehört: Die Werbung auf der letzten Katalogseite, von der sich vermuten läßt, daß sich Sanguinetis Arbeit der angepriesenen Technik bediente, zeigt aufs trefflichste, welche verpäteten Folgen Freud und Enkel auch noch nach den Neunzigern anzurichten vermögen: "Das neue Werbemedium des 3. Jahrtausends? Wie nehmen wir Werbebotschaften effizient auf? - Durch Sehen - Wir schauen uns gerne im Spiegel an. Leuchtende Werbe-Informationen aus einem Spiegel sind neu! Durch spezielle Technik kann eine Werbe- oder Infobotschaft aus diesem exklusiven Werbe-Spiegel heraus aufleuchten. MEGA-VISION-Werbespiegel sind optimal für Präsentation von Objekten, die nicht nur profan vermittelt werden sollen, sondern auch ins Unbewußte eindringen sollen. Projektionen von Vorstellungen sollen so optimal vermittelt werden. Ideal für Künstler, die ihre Objekte vorstellen - für Werbetreibende, die ihre Produkte optimal präsentieren möchten. Nutzen Sie das Abstraktionspotential Ihres neuen Kunden für Ihre Präsentation, Ideal für Werbeflächenvermietung, Quereinsteiger, Existenzgründer, oder als II. Standbein. Einkommensmöglichkeiten der Superlative!" usw. usfort... Spiegelstadium für Quereinsteiger.
Fort!Da! Cooperations, vom 2. Februar bis zum 6. April 97 in der Villa Merkel, Esslingen. Außerdem mit von der Rolle: Cor Dera, Peter Halley, Andrea Fraser, Konrad Klapheck, Elke Krystufek, Gerold Miller, François Perrodin, Tobias Rehberger, Ugo Rondinone, Franz Erhard Walther.
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