5.januar 1997




HAL 9000 & KI - Neuronentanzverbände

Micz Flor


[text als audiofile]


Kommt ein SciFi Werk in die Jahre, überholt es sich von selbst. Man erinnere sich an das Jahr '1984' oder an Philip K. Dicks Telepathische Kommunikationskanäle von 92. Kaptain Kirks Logbuch Einträge werden wir alle nicht mehr erleben, aber auch 1997 hat sein Echtzeit Masterpiece. Arthur C. Clarke schreibt in '2001' dessen eigene Entstehungsgeschichte in Form des verführerisch paranoiden Betriebssystems 'HAL' das am 12. Januar 1997 seinen ersten HardDisk Zugriff feiert. Es war einmal eine Vision künstlicher Intelligenz - 1968 - und die beginnt nächsten Sonntag in den 'H-A-L Laboratories in Urbana, Illinois'.

Produktiv arbeiten heute Neurologen, Psychologen, Programmierer und Linguisten an intelligenten neuronalen Netzwerken (z.B. zur Spracherkennung und -produktion). In anderen Instituten entstehen diagnostische Expertensysteme im Zusammenspiel von Medizinern, Programmierern und Wirtschaftswissenschaftlern. Der Weisheit erster Schritt ist dies alles nicht. Was neuronale Netzwerke auf unterster Ebene verschalten und das, was andere Systeme als Metawissen verarbeiten, ist auf jeden Fall verrechnet und die Maschine ist, was sie ist.

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Abendländische Geistesgeschichte als Dämmerung künstlicher Intelligenz.

Eins und Null für Leibniz. Er proklamierte eine Algebra der Gedanken und arbeitete heimlich an seiner apriorischen, klassifizierenden Plansprache. Leibniz glaubte an die Möglichkeit, kognitive Prozesse in mathematischen Algorithmen abbilden zu können. Dabei sind 'richtig' und 'falsch' das Null mal Eins seiner binären Traumwelt.

Theoretischen Sand streute schon Kant in Leibniz' Denkmaschine. Bewußtsein versus Gewissen auf binärer Ebene heißt: richtig/falsch 'Entscheidung' versus gut/schlecht 'Urteil'. Kants 'Verstand logischer Regeln' und Leibniz' kognitive Algebra basteln beide am Fundament abendländischer Logik. Unerreicht hingegen Kants Kategorie des 'ethischen Verstands'. Moralische Kategorien sind noch nicht im PC und bleiben nach wie vor unerfüllte Ewigkeit.

Heute sind in der künstlichen Intelligenzforschung analytisch-deduktive 'top-down' Modelle nach Art Leibniz nur ein Flügel intelligenter Systeme. Neuere Erkenntnisse der Neurologie liefern ihren Teil, damit die Chemie stimmt. Auf unterster Ebene bilden neuronale 'bottom-up' Prozesse den zweiten Flügel und schon kreist der Vogel. Das Wechselspiel der beiden hält den Kurs. Das Zusammenspiel solcher Systeme regelt sich nicht über binäre Null/Eins Entscheidungen. Anstatt von richtig/falsch werden intelligente Entscheidungen über Wahrscheinlichkeiten gefällt. Weg von der scharfen Logik, hin zu fuzzy logic.

In diesem Sinne möchte man fragen: Ob und wann wird aus dem Objekt ein selbstbewußtes Subjekt?

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Aus dem Labor frisch auf das Desktop. Rechtzeitig zu HALs Geburtstag schickt sich IBM an einzulösen, was es 1968 als stiefmütterlicher Namenspatenonkel verbockte. Clarke mußte 1968 auf IBMs Gebot ein Register tiefer in die Tastatur greifen. Aus dem ursprünglich geplanten Namen 'IBM' wurde damals 'H-A-L: HAL'. In der Dekade, in der Science Fiction zum literarischen Testlabor gesellschaftlicher Betriebssysteme avancierte, verweigerte IBM als pubertierender Daddy Mainframe seinen Namen für ein eben fehlerhaftes zur Verfügung zu stellen. Aber das wollen sie wohl wieder gut machen. In HALs Wiege liegt das erste Sprachgesteuerte Betriebssystem - IBMs OS2/Warp4 mit PlugIn 'VoiceType'.

Als Echtzeit Serviceleistung bleibt VoiceType notgedrungen primitiv. Auf drei neuronal verschränkten Ebenen werden Daten der phonetischen Analyse in Kontexte eingespeist, um schließlich die daraus resultierenden Möglichkeiten wieder auf phonetischer Ebene anzupassen. Dabei reduziert sich die Anzahl der durch VoiceType ermittelten Wort-Kandidaten von 150 auf 15 und mündet schließlich in einer 98-prozentigen Trefferquote und fehlerfreien Diktattestläufen für Sätze wie 'Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen ...'; ein merkwürdig reliables System.

Bemerkenswert die feedback Schleifen eigenschaftsgesteureter bottom-up und kontextbasierter top-down Prozesse; und - VoiceType lernt, was es verstanden hat. Dies geschieht sowohl auf phonetischer Ebene wie auf Kontext-Ebene. Der VoiceManager merkt sich Klang und Struktur der einzelnen Ansprechpartner. Ganz schön clever - aber intelligent?

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In den Kognitionswissenschaften hat man seit spätestens den 60ern realisiert, daß sich Wahrnehmung und Kognition nicht voneinander trennen lassen. Psychologische Faktoren wie Aufmerksamkeit spielen für die Wahrnehmung eine ebenso große Rolle wie physiologische Faktoren, z.B. Farbwahrnehmung. An diesem Punkt knüpft sich der gordische Knoten der Künstlichen Intelligenzforschung auf. Intelligent läßt sich nur verarbeiten, was auch intelligent wahrgenommen wurde.

Für Spracherkennungssysteme zeigt sich dieses Problem im Unvermögen alle Information, die im Akt der Kommunikation enthalten ist, zu erkennen - nicht alles, was kommuniziert wird, läßt sich in Phonemen darstellen. Was der Psychologe als nonverbale Kommunikation deklariert, läßt sich per Definition nicht in Worte fassen. Emotionaler Gehalt, Tonhöhe, Geschwindigkeit und all das, was die Regieanweisung dem Dialog anzutun vermag, gehen in die Logarithmen des Sprachverstehens als lästiges Rauschen ein. Sehr anschaulich wird dies im umgekehrten Prozeß, der intelligenten Sprachproduktion.

David G. Stork, Herausgeber des bei MIT Press erschienenen Buches of "HAL's Legacy: 2001's computer as dream and reality" meint dazu im Gespräch mit convex tv.:

"When creating HAL, Arthur C. Clarke was very concerned about the prospects for automatic speech production by the year two thousand and one; he realized the profound difficulties inherent in such a task. Clearly today we have intelligible speech, but we are still very far from natural, or human-like speech as rendered by HAL. Consider HAL's statement to Dave just before he tries to re-enter the main spacecraft through the emergency air lock -- "Without your space helmet Dave, I think you'll find that rather difficult." The exquisite subtleties of inflection and irony that HAL utilize require an understanding of world knowledge (that you need a space helmet in a vacuum), the context (that Dave is trying to disconnect HAL), Dave's perception of the context (Dave's newfound awareness that HAL realizes the astronauts plan to disconnect him) -- all atop finely tuned speech articulations.

We simply do not know how to represent the many layers of meaning that come to bear in natural voice control, and it will be many years before we do." (David G. Stork)

[Weitere Links zu 'HAL's Legacy' am Ende des Textes]

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Weg von der Dialektik hin zum Dialog. Seit Jahrzehnten assistieren computerisierte Expertensysteme der Diagnose zwischen Ölwechsel und bakterieller Infektion. Simulierte Dialoge sind auch in den Kognitionswissenschaften gern gesehene Verifikation. Seit 1965 gastiert an der Stanford University der paranoide Datenpatient 'Parry' und kurze Zeit später als erfolgreiches follow-up erschuf man am Massachusetts Institute for Technology den dazugehörigen Psychiater 'Eliza'.

Was als 'artificial intelligence' Experiment erdacht war, zog Generationen unauthorisierter Adepten nach sich. Eine vergleichsweise erfolgreiche Therapierichtung - glaubt man der vergleichsweise erfolgreichen netsearch. Eliza findet sich heute unter anderem mehrfach on-line im www und zum downloaden auch mal als 'Meliza' oder 'Frank'. Das Attribut 'intelligence' ist rückblickend etwas hoch gegriffen und Elizas Sprößlinge dürfen heutzutage nicht einmal mehr harmlosen chatgroups beiwohnen - no robots. Die kleinen reaktiven Systeme bleiben jedoch unterhaltsame Sparingspartner.

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Solche Systeme entblättern eine zentrale Frage der theoretischen Intelligenzforschung: "Was ist Intelligenz und wie läßt sich künstliche Intelligenz erkennen, wenn wir unsere Hände darin baden?" Nachdem für menschliche Intelligenz gilt: Intelligenz ist, was der Test mißt. Somit darf künstliche Intelligenz den ersten Grundstein schmeißen. Man befindet sich wieder in den 50ern, als sich Verstand noch in der unantastbaren 'black box' verschanzte.

Aus dieser Zeit stammt eine der nach wie vor heftigst diskutierten Lösungen auf die oben angeführte Frage. Der britische Mathematiker Alan Turing entwickelte 1950 einen sehr pragmatischen Test zur Erkennung künstlicher Intelligenz. Im Turing Test offenbart sich Intelligenz nicht in der Struktur des Programmes, sondern im Output, in der Fähigkeit menschliches Verhalten zu imitieren. Juroren stehen per Fernschreiber mit Mensch und Maschine in Verbindung. In diesem set-up wetteifern Mann und Maschine in Turings Original Test-Version 1.0 nach bestem Wissen und Gewissen in der Rolle ... als Frau.

Im Falle eines Patts beweist dies zumindest eins: Mann weiß nicht mehr über Frau als Computer.

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