convex tv. Sendung vom 5. Januar 1997

Moderation: Anja Heilmann




[Anmoderation der Beiträge und Liste der gespielten Musikstücke]

[moderations jingle on demand]



Das Morgen ist hier.

convex tv. Das Magazin für den eleganten Kulturtransfer im hochentwickelten Chic der Endneunziger. Auditive Stadtlogistik, Medienkontrolle, Technologiebausätze und elektronische Expeditionen, analog zur Gunst der Stunde. Digital und synchron zur Sendung mit dem 'convex tv. plug in' abrufbar

Heute mit Beiträgen über postsowjetischen Hardpop, den Komponisten Nicolas Collins, den Berliner Metropolenplan, die CD-Rom Technomaker und einen Beitrag über künstliche Intelligenz aus Anlaß von HALs programmierter Geburt heute in einer Woche.

<musik>
Interpret: Kreidler
Titel: reflections (3:36)
Tonträger: weekend
Erscheinungsjahr: 1996
Label: Kiff SM
</musik>

Wer zum ersten Mal durch die Moskauer Innenstadt spaziert, fühlt sich unwillkürlich an Batmans Gotham City erinnert, jene dunkle, andere Version einer Megastadt des 20. Jahrhunderts.

In den düsteren Schluchten stalinistischer Zuckerbäckerhochhäuser parken schwarze Wolgalimousinen und selbst die wenigen, aber dafür monumentalen Denkmäler rufen Comicassoziationen hervor. Eines dieser Denkmäler zeigt Juri Gagarin, den ersten Menschen im Weltall und ewigen sowjetischen Helden. Der Mythos Gagarin ist Teil der sowjetischen "mass kultura" - Massenkultur, die die Menschen von klein auf prägen und zu sozialistischen Persönlichkeiten formen sollte. Schwerpunkt der sowjetischen Massenkultur war die tagtägliche Überlegenheit des sozialistischen Systems. Dabei wurden den werktätigen Massen paradoxer Weise die bürgerliche Kultur und die wissenschaftlichen Errungenschaften des Sozialismus gleichermaßen nahegebracht.

Der Kapitalismus hat nicht nur das soziale System Rußlands ins Wanken gebracht, auch die pädagogisch ambitionierten Vorstellungen der sozialistischen Massenkultur werden heute durch schnelle Produkte aus Showbusineß und Pop ersetzt. Ein Umstand, der die postsowjetische Zeitung Iswestija ins Grübeln bringt:

<beitrag>

Podvigoj Popoj! Beweg deinen Hintern!
Popkultur im Postsozialismus

Ulrich Gutmair/Benjamin Beck

</beitrag>

<musik>
Interpret: Tsche-Rap
Titel: Novy den
Tonträger: Sampler: Trapanazija 2
Erscheinungsjahr: 1996
Label: Pavian Records / (p) NORD Records
</musik>

Daß durch digitale Bearbeitungstechniken wie Sampling althergebrachte Ordnungssysteme von Rhythmus und Melodie umdefiniert werden, ist für Musik in den 90er Jahren schon zum Gemeinplatz geworden.

Gleichzeitig findet ein akustischer Technologietransfer zwischen ehemals getrennten Sparten statt. Klangtexturen aus minimal music und musique concréte finden Eingang in Illbient und Post-Techno, elektroakustische Referenzen lassen sich in Elektro und Neuer Improvisationsmusik vorfinden.

Mit der entsprechenden Klangästhetik einhergehende Konzepte und Praktiken von 'home-recording' gibt es aber nicht erst seit der Soundsoftware Cubase. David Tudor zum Beispiel hatte die Idee der 'home-made-electronics' in einer Zeit entwickelt, als Synthesizer noch unerschwinglich, kleine Schaltkreise jedoch fast geschenkt und leicht zu modifizieren waren.

Der Stilmix der 90er Jahre stellt um so mehr die Frage, ob Musiker an kulturindustriellen Klang-und Produktionshierarchien vorgefertigter Instrumente festhalten müssen.

Warum so wenige neue und bemerkenswerte Instrumente außerhalb oder zumindest in Verbindung mit dem Computer entwickelt werden, bleibt in diesem Sinn rätselhaft und unverständlich.

Der New Yorker Musiker Nicolas Collins sucht als Erfinder diverser Instrumente und akustischer Schnittstellen ein Design für die neue akustische Ökonomie. Martin Conrads traf sich mit ihm zu einem Gespräch.

<musik>
Interpret: Nicolas Collins
Titel: Tonträger: CD: It was a dark and stormy night
Erscheinungsjahr: 1992
Label: TRACE ELEMENTS RECORDS
</musik>

<beitrag>

Nicolas Collins: "...it could no longer mute anything".
Martin Conrads

</beitrag>

<musik>
Interpret: Nicolas Collins
Titel: - mit Ben Neill: Mutantrumpet (0:46)
- mit Christian Marclay: record players (1:20)
- mit Elliott Sharp: bass clarinet (0:35)
- mit Peter Cusack: acoustic guitar, whistle (1:29)
Tonträger: 100 of the world's most beautiful melodies
Erscheinungsjahr: 1989
Label: TRACE ELEMENTS RECORDS
</musik>

Seit dem zweiten Weltkrieg hat Berlin schon einige architektonische Masterpläne gesehen. Die meisten davon blieben jedoch unverwirklicht. So war in den 50er Jahren am Bahnhof Zoo war ein Flughafen konzipiert und Le Corbusier wollte sogar das Viertel um die Friedrichstraße abreißen und statt dessen wuchtige Wohnmaschinen hochziehen.

Mit dem Mauerfall entstand ein stadtplanerisches Vakuum. Der damalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann ließ 1991 ein städtebauliches "Regelwerk" erarbeiten. In diesem wurde die kritische Rekonstruktion zum Leitbild der Architekturpolitik gemacht. Dem baulichen Wildwuchs sollte Einhalt geboten werden. Seitdem jongliert auch der Laie mit Fachbegriffen wie Traufhöhe und Lochfassade.

Ende letzten Jahres ist es wieder Hans Stimmann, jetzt als Stadtentwicklungssenator, der einen neuen Entwurf für die Berliner Innenstadt in Auftrag gibt: das Planwerk Mitte. Vier westdeutsche Architekten haben erarbeitet, was Berlins Osten und Westen in seiner Mitte vereinen soll. Nun kennt der interessierte Bürger die Maxime: Urbanität durch Dichte.

Doch das Urbane ist ein angenehm dehnbarer und unangenehm besetzter Begriff. Und so bleibt die Frage, wie das Anliegen des Masterplans verwirklicht werden soll, den Bürgern ihre Stadt zurückzugeben.

Dieter Hoffmann-Axthelm, führender Kopf des Cityplans Ost und West, proklamiert die Stadt als Ort des sozialen Zusammenlebens.

Eine recht banale und doch auch wichtige Vorstellung, aber ist sie von oben planbar?

Ein Kunstessay am Bau von Silvan Linden.

<beitrag>

Metropolenformel : Mitte oder Peripherie
Silvan Linden

</beitrag>

<musik>
Interpret: LABRADFORD
Titel: Pilo (5:51)
Tonträger: Labradford
Erscheinungsjahr: 1996
Label: BLAST FIRST/MUTE RECORDS
</musik>

Nach Jahren der passiven Musikkonsumierung besinnen sich junge Menschen um die 20 auf ihr Leiden im ungeliebten Klavier- oder Gitarrenunterricht zurück. Eigentlich war man doch ganz talentiert, hatte eben nur andere Dinge im Kopf, damals. Warum also soll man sein Talent nicht reaktivieren und den Traum vom Popstar zu Ende träumen?

Die Bewußtseinsindustrie, die uns junge Menschen so lieb hat, will uns dieses Vorhaben leicht machen und verheißt im Informationszeitalter traumhaftes. Schon Vorschulkinder lernen Hänschen Klein am PC zu klimpern und für die anspruchsvolleren gibt es das digitale Tonstudio für den Heimgebrauch. Doch wen die geballte Technik irritiert, der kann jetzt mit einer Einfachversion Vorlieb nehmen. Und so ist für jeden gesorgt.

Elektronische Musik selber machen ist heutzutage ganz simpel. Mit einer CD-Rom namens Technomaker der Firma Data Becker komponiert man Hits innerhalb kürzester Zeit. Das verspricht zumindest das Handbuch, aus dem Stefan Schreck vorliest.

<beitrag>

FunFactor 100 - Data Becker Techno Maker
Stefan E. Schreck

</beitrag>

Text und Soundsamples sind ausschließlich Handbuch und CD-Rom des Technomaker entnommen. Schön, schön. Doch die Firma Data Becker hat noch viel mehr zu bieten. Virtuellen Budenzauber verspricht der 3D-Wohndesigner, eine CD-Rom aus dem gleichen Kreativhaus.

Tapetenwechsel per Mausclick - keine Frage, das wünschen wir uns alle.

<musik>
Interpret: gastr del sol
Titel: Mirror Repair (3:11)
Tonträger: mirror repair
Erscheinungsjahr: 1994
Label: Normal
</musik>

Stanley Kubricks Film "2001 - Odyssee im Weltraum", basierend auf dem Buch von Arthur C. Clarke, entstand im Jahre 1968. Verblüffend früh, bedenkt man die zeitlose Ästhetik dieses cineastischen Meisterwerks.

Wenn man sich die minutenlange Sequenz des langsam rotierenden Raumschiffs zu den Walzertakten von "An der schönen blauen Donau" von Johann Strauß in Erinnerung ruft, kann man sich einer ambivalenten Euphorie nicht erwehren. Auch der Entwurf einer so fortgeschrittenen Technikwelt im cremigen 70er Weiß hat die Fantasie angeregt.

Doch auch die wissenschaftlichen Seifenblasen aus dem Jahr 1968 schweben noch heute. Insbesondere HAL, der Supercomputer aus "2001" mit der Stimme des Moderatoren einer Werbesendung induziert Zukunftsvisionen, die einzulösen wir noch Äonen entfernt scheinen, und das, obwohl uns vom Datum 2001 nur noch vier Jahre trennen. Intelligente Maschinen sind zwar seit den vierziger Jahren Forschungsgegenstand der Wissenschaft, ihre Erfolge sind bis heute aber gering und zudem umstritten. Zum Stand der Künstlichen Intelligenz eine Zwischenbilanz von Micz Flor.

<beitrag>

HAL 9000 & KI - Neuronentanzverbände
Micz Flor

</beitrag>

<musik>
Interpret: f¸xa
Titel: witness to natural invention (7:33)
Tonträger: very well organised
Erscheinungsjahr: 1996
Label: mind expansion records
</musik>

Uns gibt es wieder am 2. Februar.



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