5.januar 1997





Metropolenformel - Mitte oder Peripherie

Silvan Linden


[text als audiofile]


Wir sind in Deutschland. Doch was sich anhört wie ein ganz beliebiger Ort in einer ganz beliebigen Stadt ist die Mitte Berlins, der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Und wie man weiß, ist hier vieles im Argen. Und weil so vieles im Argen ist, diskutiert convex tv. heute die Metropolenformel, die, wenn sie korrekt zur Anwendung gebracht wird, vielleicht doch ein wenig helfen kann.

Gültigkeitsbereich der Metropolenformel ist die Stadt ohne Mitte, die wuchernde Stadt am Ende der Arbeitsgesellschaft, die Stadt ohne Flaneure, ohne Muße, ohne Geld, ohne Geschichte, mit vielen Autos und allerlei Mittelmaß.

Vision der Metropolenformel ist die Stadt mit Mitte und Schloß und Park und Restaurant, mit ganz wenig Autos und ganz wenig Peripherie, die wir aber Vorstadt nennen wollen, mit ganz viel Ruhe und Ausgeglichenheit für den internationalen Wettbewerb des bürgerlichen Mittelstandes. Wie wir sehen, geht es darum, daß sich alles ändert.

Wie wir wissen, ändert sich alles, ändern wir unseren Standpunkt. Schauen wir also zurück. Was wir sehen ist Geschichte. Geschichtlich im Sinne der Metropolenformel ist alles was nicht mehr da ist. Ein Beispiel: Für das Zustandekommen der metropolenformel war es wichtig das Außenministerium zu entfernen, ohne zu wissen, was statt seiner denn nun wirklich entstehen soll. Denn erst wenn nichts mehr da ist, und die Leere ganz unerträglich groß geworden ist, wird unausweichlich, das zu wollen, was nicht mehr da ist. Dann erst wird Geschichte sichtbar.

Um also das schwankende Bild preußischer Urbanität zuverlässig in der Unendlichkeit geschichtlicher Tiefe fixieren zu können, müssen wir den Teil der Geschichte, der nun wirklich zur Geltung kommen soll, zuverlässig bestimmen - hier aber beginnt die Freiheit des Planenden.

Die heutigen Produktionsrealitäten bringen es mit sich, Häuser für unbekannte Nutzer und Nutzungen entwerfen zu müssen. Der eingeplante Nutzer ist demzufolge der standardisierte und anzunehmende durchschnittliche Nutzer. Die entstehende Stadt ist also eine Stadt ohne Interessen, das entstehende Haus eines ohne Inhalt.

Dies möchten wir insofern als Problem empfinden, als wir den Reiz einer gewachsenen Urbanität immer auf die Überlagerung vielfältigster Interessen und Zeiten, sowie der entsprechenden Widersprüche und Widerstände zurückführen wollten. Stadtplanung wollten wir in der Folge als die Sicherstellung dieses Interessenaustausches und der Bereitstellung einer Infrastruktur des Austausches begreifen.

Stellen wir vor diese zerbrechliche Stadt jedoch die Idee der Mitte als perspektivische Aufhellung, haben wir ein Bild, an das sich glauben läßt. Weil wir jedoch im Zeitalter der Reproduzierbarkeit Bilder und ihre Beliebigkeit nicht mögen, detaillieren wir das Bild der Mitte mit dem Bild der Bescheidenheit. So genügen uns ganz wenige Bilder und wir entkommen der Beliebigkeit.

In der Idee der Mitte findet die Kultur der Langeweile und Wiederkehr Höhepunkt und Vollendung. Die Metropolenformel errichtet die Stadt genau dort, wo sie sich in der Unverbindlichkeit von Autobahn und Kommunikation aufgelöst hat; zum Zwecke ihres Fortbestandes als Mythos der Gemütlichkeit, als drückend schweres und schwüles Gegengewicht zur Unerträglichkeit der weichen Leere des Pop.

Weil aber Dieter Hoffmann-Axthelm nicht doof ist und es verdient als der eigentliche Autor der Metropolenformel auch Erwähnung zu finden, wollen wir dieses tun und errichten die Stadt genau dort, wo sie sich in der Unverbindlichkeit von Autobahn und Kommunikation aufgelöst hat; zum Zwecke ihres Fortbestandes als Mythos der Gemütlichkeit, als drückend schweres und schwüles Gegengewicht zur Unerträglichkeit der weichen Leere des Pop.

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- 5.januar 1997 -


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