2.februar 1997





Terry Riley - in B

Ulrich Gutmair / Martin Conrads


[text als audiofile]


Sein letztes Konzert in Berlin lag einige Jahre zurück, und so war der Saal mit den Zeichnungen von Joseph Beuys bis auf den letzten Platz gefüllt, als Terry Riley in der vergangenen Woche mit dem Kontrabassisten Stefano Scodanibbio im Hamburger Bahnhof zwei Konzerte gab. Dabei schien es fast so, als wolle Riley einen Überblick über die verschiedenen Phasen seines Werkes geben, sei es durch den Raga-Gesang zum Tambura-Spiel, mit seinen Stücke am Flügel oder dem brillianten Harmonieren mit Scodanibbios exzellentem Baßspiel.

Riley, 1935 in Kalifornien geboren, studierte zuerst Piano und Komposition in Berkeley und San Francisco. 1963 brach er nach NewYork auf, wo sein minimalistischer Strukturalismus gemeinsam und zeitgleich mit Personen wie La Monte Young und John Cale die psychedelischen Sixties mitdefinierte. Später dann lebte er in Europa und Indien, bevor er schließlich wieder nach Kalifornien zurückkehrte.

Geprägt von so diversen Einflüssen wie afrikanischer und indischer Musik, Bebop und Bach, blieb er in seiner prinzipiellen Offenheit für musikalische Strukturen immer auch mit der amerikanischen Westküstenkultur verbunden: Riley, der ältere Herr mit dem weißen, geflochtenen Bart, wußte dabei über die Jahrzehnte alle Hippie-, NewAge- und Klischeeklippen gerade so zu umschiffen.

Meilenstein der Minimal Music und einflußreichstes Werk Rileys blieb ìIn C", eine Komposition aus dem Jahr 1964, hier nun als Ausschnitt in einer Version zu hören, die zum 25. Geburtstag des Stückes 1990 in San Francisco aufgeführt wurde:

Interpret: Terry Riley
Titel: In C. 25th Anniversary Concert
Tonträger: In C. 25th Anniversary Concert
Erscheinungsjahr: 1995
Label: New Albion Records
Das Prinzip von ìIn C" ist denkbar einfach - und es war bahnbrechend für die Zeit, in der es entstand: 53 einzelne Klangmodule -alle in C-Dur- werden von den Aufführenden nacheinander gespielt, wobei der Zeitpunkt des Wechsels von einem Modul zum nächsten jedem Musiker selbst überlassen bleibt. So dauert es mindestens 40, oft aber über 90 Minuten, bis das Ende des Stückes an jenem Punkt erreicht ist, an dem alle Instrumentalisten das dreiundfünfzigste Modul erreicht haben. ìIn C" war Mitte der sechziger Jahre nicht nur wegen seiner Aufführungspraxis revolutionär -in Rileys Komposition ist weder die Anzahl der Musiker, noch die Instrumentation angegeben-, sondern auch wegen der benutzten Klangtechnik: Dabei feierten die repetetiven Tonschleifen nicht nur von der Avantgardemethode der Zwölftontechnik radikalen Abschied, mit ìIn C" glückte es Riley auch als erstem, die Minimal Music auf die Plattenteller der Clubs zu bringen. So gelangten in Locations wie dem New Yorker BohËmeladen ìThe Electric Circus", dem ìSan Francisco Tape Music Center", oder mit La Monte Youngs ìTheatre of Eternal Music" Kompositionen Rileys mit Tape Delay und gutgetunetem Keybord zur Aufführung - Methoden, die damals noch unerschlossenes Terrain absteckten. Daß die Techniken des Looping und Sampling auch in den 90er Jahren kulturelle Dominanz beanspruchen, sieht Riley gelassen; lieber sucht er den Vergleich in der Mediengeschichte:

O-Ton Riley 1: Als die ersten Cassettenrecorder erschwinglich wurden, war das wie zuvor mit der Photokamera: Die Menschen begannen, alles aufzuzeichnen, sei es Musik oder Sprache oder irgend etwas anderes. Sie benutzten es, um einen bestimmten Moment der Zeit einzufangen, so wie durch eine Photographie mit der Kamera ein bestimmter Moment Zeit eingefangen wird. In den ersten Tagen dieser Technologie war das ein Weg, Klang zu bearbeiten, der Musikern zuvor nicht möglich war. Früher konnte man solche Klänge einfach nicht hören: Looping oder Rückwärtsspielen, oder Klänge so collagieren, daß die Musik skulptural und kinetisch wird: plötzlich konnte man ein Stück aus all diesen verschiedenen Zeiten bauen, wie eine Skulptur.

Die Techniken des Loopens, also sich wiederholender Sequenzen, wurde erst durch die minimalistische Revolution zu einer eigenständigen Form gemacht. In Verbindung mit psychedelischen Drogen, mit denen Riley lange und intensiv experimentierte, kehrte Musik zu ihren Anfängen zurück. Zwar konnten Experten diese Musik konzeptionell interpretieren - gleichzeitig aber befreite Riley sogenannte ernsthafte Musik aus ihren Hierarchien. Zu seinen Nachtkonzerten in den Sechzigern kamen ganze Familien mit Picknickkörben und Schlafsäcken, um bis zum Morgengrauen zusammen zu tanzen, zu essen und zuzuhören. Riley improvisierte auf seinem Synthesizer, den er mit einem Time Lag Accumulator modifiziert hatte. Einer der beiden Stereokanäle speichert die Musik für den Bruchteil einer Sekunde, um sie dann zeitversetzt wieder auszugeben. Diese Technik plus die mit ihr erzeugten Situationen in den Nachtkonzerten erinnern nicht von ungefähr an die Technoparties der 90er, in denen Synthesizer, Drumcomputer und Klangschleifen ähnlich benutzt werden.

Wie schon für die Krautrocker der frühen 70er wurde Riley damit auch für eine ganz neue Generation von Musikern zum Patenonkel. Er selbst kennt Technoraves allerdings nur aus Berichten.

O-Ton Riley 2: Ich war ein Teil dieser Bewegung, aber ich denke nicht, daß ich dafür verantwortlich war. Ich glaube, die Idee, Musik über einen sehr langen Zeitraum so zu spielen, daß die Menschen in einen Traumzustand gelangen und somit Musik nicht nur als bloßes Entertainment genießen können, war etwas, das mich in den sechziger Jahren sehr interessierte - und mich zu einem bestimmten Grad auch noch heute interessiert.

Interpret: Terry Riley
Titel: 29.11.75, Metamusik-Festival Berlin
Tonträger: Descending Moonshine Dervishes
Erscheinungsjahr: 1982
Label: Kuckuck
Vor allem die Verfügbarkeit von Geräten wie Samplern, Synthesizern und Drumcomputern haben seit den 80ern elektronische Klangbearbeitung und -erzeugung für Pop verfügbar gemacht. Heute zerschneiden und rekombinieren die Programmierer von Drum_And_Bass_Tracks Klänge mit immer intelligenteren Softwareoberflächen auf billigen PCs zu komplexen rhythmischen Konstruktionen. Eine Arbeitsweise für die Riley in den 60ern noch meterlange Tonbänder, einen großen Garten und viel Geduld benötigte.

Für Riley sind diese Experimente ohnehin bereits Geschichte, die einzige Technologie, die ihn heute interessiert, ist die jahrhundertealte Technik des indischen Ragagesangs. Die studiert er bereits seit über zwanzig Jahren - für manche Kritiker Grund genug, sein spätes Werk unter der Rubrik Hippie-Esoterik abzulegen. Aus der Musikgeschichte hat sich Riley tatsächlich schon seit langem hinauskatapultiert. Die neuen Entwicklungen in der Grauzone zwischen Avantgarde und Dancefloor betrachtet er mit der Abgeklärtheit des Mystikers: Wie die Zukunft der Musik aussehen wird und ob es sie überhaupt gibt, ist am Ende irrelevant - die letzten Fragen sind ohnehin unentscheidbar.

O-Ton Riley 3: Ich bin mir nicht sicher, ob zur Zeit wirklich neue Sounds in neuen Kombinationen erprobt werden. Ich denke vielmehr, daß wir ein neues Medium brauchen, denn ich glaube nicht einmal, daß wirklich neue Klänge notwendigerweise aus einem elektronischen Medium kommen müssen. Gut, auch das ist möglich, aber ich hoffe eher auf einen konzeptionellen Durchbruch als auf die Weiterverarbeitung dessen, was sowieso schon existiert. Es gibt momentan immer weniger Bewegungsraum, immer weniger Raum um etwas wachsen zu lassen, im Prinzip scheint alle schon gesagt. Es muß nun irgendetwas anderes passieren, um eine Grenze zu erschaffen; denn am aufregendsten ist es meistens dann, wenn eine Grenze auftaucht und etwas auf der Kippe steht, etwas, das man zuvor noch nicht erfahren hat und wo man nicht weiß, was sich jenseits davon befindet. Und genau das ist Musik; Musik ist zu einem großen Teil eine sehr mystische Wissenschaft. Es ist sehr schwierig auszumachen was es ist, das die Musik so funktionieren läßt.
Interpret: Terry Riley
Titel: (excerpt)
Tonträger: Shri Camel
Erscheinungsjahr: 1980
Label: CBS


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- 2.februar 1997 -


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