2.februar 1997





Heidi Specker - Digitale Fassadenmalerei

Stefan E. Schreck


[text als audiofile]


In den 60 er Jahren in einem kleinen Dorf in Niedersachsen aufgewachsen zu sein - das bedeutet für Heidi Specker, fern zu leben von den architektonischen Entwichlungen der nachkriegsdeutschen Großstädte. Niedersachsen Hauptstadt Hannover - im 2. Weltkrieg weitesgehend zerstört - war der Städteplaner Lieblingskind. Der technische Stand und Verstand der späten 60er und frühen 70er Jahre steckte in den Kinderschuhen, wenn es um das Entwerfen mit und am Computer ging. Eine Zeit in der der ASCII Code noch laufen lernte. Bis zu den heutigen Computeranimationen bedurfte es noch viele Jahre und viele ästhetische Verwirrungen. In dieser Zeit aufgewachsen zu sein, heißt auch, den Umbruch vom analogen zum digitalen Zeitalter mitzuerleben und Teil der ersten Gehversuche zu sein:

O-Ton:
"Ich habe vor zehn Jahren einen Computergrafikkurs gemacht, wo man Fortran gelernt hat, eine ganz einfache Computersprache. Man hat dabei so Treppen herausbekommen, Treppen nach unten, nach oben, aber es war auch wie gestrickt, ein Plotter. Ich finde, daß diese Häuser so entworfen sind. Ich glaube, das ist ein technisches Level, das es damals gegeben hat und das äußern diese Bilder auch oder die Gebäude. Ich denke auch, daß man das vermitteln kann, daß diese Bilder dann aussehen wie gehäkelt, und so einfach diese Zeit oder einen Stand näher bringen."

Skelette mit Plastik verkleideter Häuser, zurückgesetzte Fenster, poststrukturalisitische Wabenmuster: das war die Architektur der 60 er und das sind die Motive für Heidi Speckers Fotografien heute. 30 Jahre später ist die Digitalisierung endgültig in unseren Alltag vorgedrungen. Und nun rückt Specker den alten Gebäuden digital auf die Pelle.

O-Ton:
"Ich habe dann immer herumgebastelt und dann hatte ich irgendwann das erste Haus, das so gemacht wurde, das mit diesem Filter dann so aussah. Da war mir klar, da will ich weiterarbeiten, in dieser Art und Weise will ich noch mehr Bilder machen. Es modeliert die Bilder zurück, das fand ich irgendwie ganz schön. Wenn ein Haus entworfen oder vorgeschlagen wird beim ersten Entwurf, dann ist es im Grunde genommen nur ein weißes Etwas, ein weißes rundes Gebäude, dieses Klischee, das man von einem Architekturmodell hat. Das, was ich mit Häusern mache, ist dann, daß sie so aussehen wie ein Entwurf. Das war der eigentliche Ansatz. Später ist es dann viel malerischer geworden oder detailverliebt, aber das hat sich dann so langsam entwickelt."

"Speckergruppen" nennt sie die erste Serie ihrer Architekturfotografie. Gefunden hat sie ihre Objekte in Berlin, Brüssel, in den Modellstuben der Architekten oder schlicht in einem Brocken Styropor. Mit dem Weichzeichner in Photoshop bearbeitet, werden die Strukturen der Häuser aufgelöst, ihrer eigenen Identität beraubt und dann mit einer neuen beseelt. Da gewesen ist die neue Struktur eigentlich schon immer. Aber sie wird erst sichtbar mittels des digitalen Werkzeugs. Poppig fröhliche Farben, sich in Glasfassaden spiegelnde Wolken, runde Ecken und Kanten und Strukturen wie aus einem Setzbaukasten. Den Häusern kann man mit dem Weichzeichner zu Leibe rücken. Anders verhält es sich mit der Natur:

O-Ton:
"Was irre ist, wenn man sagt, ich wende so etwas generell an, also auf ein ganzes Bild, daß es auf Objekte, also künstliche Dinge, anders reagiert als auf Wolken oder Gras, was ja dann organisch ist, Natur. Es reagiert sehr unterschiedlich, das ist irgendwie komisch. Ich weiß nicht, woran das liegt. Wolken sehen immer noch aus wie Wolken, auch Bäume oder Grün, das Gras. Das sind dann im Grunde genommen die Träger. Man positioniert das dann. Die Häuser befinden sich auf einem Boden und oben sind die Wolken, der Horizont. Das sind die beiden Elemente, die den Raum andeuten."

Eigenartig modellhaft werden die Häuser, obwohl sie doch eigentlich schon existieren. Aber ist das wichtig zu wissen? Für Heidi Specker bestand gerade der Reiz darin, Häuser deren Identität seit über 20 Jahren existiert oder bis vor kurzem - wie bei dem Außenministerium der ehemaligen DDR - exisistiert hat, neu zu modelieren. Durch die großen flächigen Farben und den Verlauf der Tinte auf Papier oder gar Leinwand wirkt es fast gemalt. Aber das ist nicht der richtige Ausdruck für eine Produktion am Ende des 20. Jahrhunderts und für die Verwendung neuer Technik:

O-Ton:
"Ich finde es passender zu sagen, daß man Bilder z.B: "generiert", malerisch ist für mich so haptisch. Die Bilder sind schon materialverliebt, aber eigentlich finde ich es wichtiger, Worte zu finden, die den technischen Begriff noch einmal klarstellen, und das ist für mich "generieren" oder "filtern". Malerei kann ncht filtern, Malerei kann nur darstellen, aber filtern heißt: da hat es vorher etwas gegeben, dann gab es einen Filter und danach sah es anders aus."

Daß diese Effekte auch mit der herkömmlichen analogen Technik erzielt werden können, davon wollte der Fotograf Michael Schmid auf einer Vorstellung Speckers Arbeit in der NBK partout nicht ablassen. Da entbrannte eine Diskussion über das altbekannte Vorurteil gegen technische Neuerungen. Jedesmal wird das Ende der Kultur beschworen und auf die Gefahren hingewiesen, die der Mensch ausgesetzt sei. Für Heidi Specker völlig überflüssig:

O-Ton:
"Ich finde, es gibt generell keinen Grund zu sagen "Stop!" oder "Wir müssen jetzt hier nachdenken". Der Zug ist längst schon an allen Leuten vorbei und die stehen auf irgendeinem Bahnhof und fragen sich das auf einmal. Ich denke, es wäre sinnvoller, wenn die es dann auch benutzen. Es gibt keine Spiegelreflexkamera, die nicht irgendeinen Belichtungschip oder irgendein Datenprogramm hat. Alle benutzen schon ihre Computer und stellen sich hin und sagen: Ich will das gar nicht. Das verstehe ich nicht. Das ist Augenwischerei."

Ordentlich die Augen gerieben haben sich auch die Besucher der Ausstellung in der Galerie Gebauer und Thumm. Die Bilder von Heidi Specker ziehen einen an, machen es angenehm hinzusehen und dann bemerkt man wenig später: irgendetwas stimmt da nicht. Dabei ist die Mutation der Gebäude in ihren Bildern nicht verfremdend - nein, es scheint, als schenkt sie der verachteten Architektur des Nachkriegsdeutschland eine fröhliche Seele, die sie so im grauen Einerlei der deutschen Großstädte nie hatten. So entsteht Architektur nach der Architekur und die hat vielmehr mit einer Illusion zu tun als uns alle Bilder zukünftiger Architektur auf großen Plakaten verheißen wollen.

Die neue Serie von Heidi Specker heißt genau so wie die Stadt, in der sie ihre Häuser gefunden hat:"Brüssel". Formal sind sie den "Speckergruppen" sehr ähnlich, aber die Liebe zum Detail, das andere Material und erstmals auch ein Foto auf großer Leinwand bringen es zur Perfektion. Daß Aufnahme, Bearbeitung und Druck digital sind, wird dabei immer unwichtiger. Auch mit digitalen Techniken kann man natürlich umgehen, kann es unprätentiös einsetzen. Vorbei die Zeiten, wo man der Kuh noch ein fünftes Bein dransetzte, um zu zeigen, was alles geht im Computer. Auch vorbei die Zeit, wo man den Atem anhalten muß, um über die digitalen Werkzeuge - ihre Möglichkeiten und Gefahren- zu reflektiern. Damit haben sich schon die Künstler in den 80ern beschäftigt. Dennoch, nicht alles, was da am Computer entsteht, verdient auch das Prädikat innovativ. Und so ganz unersetzlich ist die analoge Fotografie auch für Heidi Specker nicht:

O-Ton:
"Ich knipse ja auch noch rum und hole meine Prints von Drospa ab. Das ist für mich auch gut. Oder ich gucke mir auch gern ganz normale Fotoarbeiten an. Es geht letztendlich auch da wieder um eine Bildsprache. Ich kann auch mit analoger Fotografie eine zeitgenössische Bildsprache sprechen und mit digitaler Fotografie schrecklich verkitschte Werbescheiße machen. Sujetfotografie, das gibt es auch bei digitaler Fotografie, wo Himmel retuschiert werden, irgendetwas wird dramatischer gemacht. Wenn man zur Photokina geht, dann sind das ja auch eigentlich total schreckliche Images, die man damit verbindet."

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- 2.februar 1997 -


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