2.februar 1997





Susan Turcot - walks in the fictional woods

Micz Flor


[text als audiofile]


Geschichten zu erzählen ist ein seltsam vertrauter Akt, 'strangely familiar'.

'strangely familiar' heißt denn auch die Ausstellung der kanadischen Künstlerin Susan Turcot, die seit gestern zu sehen ist. Die ausgestellten Figuren, zerbrechliche Holzkonstruktionen, eingekleidet in spärlich absurde Stoffkostüme, kommen dabei erst einmal scheinbar ohne Worte aus. Was sie schließlich doch zu sagen hätten, dauert mehr als eine Zigarette und das Glas Eröffnungswein.

Im Ausstellungsraum betreten wir eine installierte Momentaufnahme, ein ungelöstes Narrativ in dem die letzten erklärenden Worte ausgeklammert bleiben. Auffallend sind die abstrahierten, skelettähnlichen Konstruktionen der einzelnen Körper. Ihre Form orientiert sich an scheinbar willkürlichen, flexiblen, comichaften Bewegungslinien, und erinnert nur entfernt an konkrete Statik natürlicher Skelettvorlagen.

Mit ihrer Ausstellung 'strangely familiar' kehrt Turcot in den galerieeigenen Ausstellungsraum 'Trafohaus' in den Hackeschen Höfen zurück. In denselben Räumlichkeiten war im letzten Jahr ihre Diainstallation 'inflate me I'm gone' zu sehen, nachdem diese Arbeit den Techno-Testlauf der WMF Geburtstagsfeierlichkeiten erfolgreich überstanden hatte. 'inflate me I'm gone' entstand als konkrete Weiterführung aus Zeichnungen Turcots. Die Arbeit verstand sich als subtile Zeitreihe leiser Überblendungen, Zeichnungen und Liniengefilde - ein visuelles Crossfading. Die Zeichnungen sind Vexierspiele des Körpers in präzisen, zusammenhängenden und doch undenkbaren Linien, die Darstellung und Beschreibung vermengen. Dabei ergänzt der Betrachter unmerklich die Umrisse zu Figuren.

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The 'inflate me I'm gone' drawings were some kind of abstract body that each of the figures had invented themselves through some kind of oral apparatus. They all had recognisable human heads or faces but the body that they created was more of an idea body or a place in a body or something that wasn't belonging to a physical body as we know it, but something which is much closer to an imagined idea of who one is or how one feels at a certain point or what something could be when it's not taken for face value.

Die Zeichnungen in 'inflate me I'm gone' stellen eine Art abstrakten Körper dar, den sich die einzelnen Figuren selbst durch ihren Sprachapparat erfunden haben. Sie alle haben als 'menschlich' erkennbare Köpfe oder Gesichter, jedoch der Körper, den sie sich erschufen, war viel mehr die Idee eines Körpers, ein Ort in einem Körper, oder etwas, was sich nicht dem physikalischen Körper - wie wir ihn verstehen - zuordnen läßt. Es ist viel näher an der Vorstellung, wie jemand sei, oder sich zu einem bestimmten Zeitpunkt fühlt oder was etwas darstellen könnte, wenn es nicht als die äußerliche Darstellung verstanden wird.
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Auch in der derzeitigen Ausstellung 'strangely familiar' findet sich in den offenen skulpturalen Formen ein Bezug zur Linienführung dieser Zeichnungen. Die Frage nach der Ausdrucksform, die Beschreibung des Körpers und dessen Öffnung zur Umwelt manifestiert sich jenseits der Linie, die sich nicht zur ganzen Form vervollständigt. Was schließlich als Ganzheit und Außen versus Innen erkennbar wird, ist eine gute Gestalt, ein mentales Konstrukt. Ohne die Menge der Teile spezifizieren zu können, wird das Ganze doch deutlich mehr und verschwimmt gleichzeitig bei näherer Betrachtung.

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The difference between inside and outside, what's inside what's outside is really nice, because nothing is really enclosed or especially I have done, it's always that the centre of the body seems somewhat of an empty room and the outside of the body is just a contour and there is nothing solid, there is nothing full or empty. If you try to follow your way into a figure, you can always come out of it as well.

Der Unterschied zwischen Innen und Außen, 'was ist außen?' ist sehr interessant, weil nichts wirklich eingeschlossen ist. So wie ich es umgesetzt habe, wird das Zentrum des Körpers zu einem leeren Raum und die Außenlinie ist nur eine Kontur. Nichts ist massiv, nichts ist voll oder leer. Wenn man versucht, einem Weg in die Figuren zu folgen, so findet man gleichzeitig auch wieder nach Außen.
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'strangely familiar' erscheint als installiertes Skizzenbuch, Skelette aus wenigen Linien, deren fragile Konstruktion vom Betrachter einen mentalen Halt erfährt. Seltsam bekannt sind die Konstruktionen dem menschlichen Körper, wenn auch die einzelnen Figuren die Ausnahmen zu sein scheinen, die die Regeln bestätigen. Ein ausformulierter Mittsommernachtstraum: Vier aufrechte, märchenhaft gruppierte Figuren sammeln sich um einen Liegenden, in milchige Folie gekleideten Körper. Am auffälligsten sind dessen Hände - eingepackt und schimmernd in ihren Konturen aufgelöst. Wenn diese Gruppe quasi ein revolutionäres Modell darstellt, dann am ehesten mit Fokus auf die Entstehung von Sprache. Verbale Kommunikation findet als parallele Entwicklung zur Spezialisierung der Feinmotorik statt, nachdem der/die Mensch nur noch mit zwei Beinen auf dieser Welt stand. Jenseits der Worte findet sich dann die Ätiologie der Sprache.

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The describing difference between the animal world and the Homo Sapiens world is language and the linearity of language, written language and spoken language is a complicated long code that we all belong to, and that we all are absolutely depended on for communication.

Der entscheidende Unterschied zwischen der tierischen Welt und dem Homo Sapiens ist die Sprache und die Liberalität der Sprache. Geschriebene und gesprochene Sprache ist ein langer, komplexer Code, zu dem wir alle gehören und von dem wir alle zur Kommunikation absolut abhängig sind.
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Oskar Kokoschka ließ sich dereinst detailgetreu eine weiblich-flauschige Fellpuppe als Aktmodell anfertigen. Dieses Kuriosum der Kunstgeschichte mag den Skulpturen in 'strangely familiar' im Traum erscheinen. Die Figurengruppe im Trafohaus inszeniert eine unbewegte Phantasie. Eine lebensgroße Figur trägt einen zu kurz geratenen Plüschmantel mit Häschenbommel, der kniende Narr in Insektenkappe beugt sich liebkosend über einen liegenden, in Plastik gehüllten Körper, die Laura Palmer der zeitgenössischen Kunst. Vogel und Affe wünschen sich einen angenehmen Abend. Letzte Referenz zum realen Lebenszeitabschnitt sind die ausgezählten Jahresringe des Holzes. Demzufolge sind die Figuren an die siebzig Jahre alt.

Folgt man den Linien in Turcots Zeichnungen, gelangt der Betrachter zum angedeuteten Narrativ ihrer Installation. Was sich an Assoziationen findet, bleibt der Individualität der Gestalten verhaftet, ein kausaler Zusammenhang zwischen den Akteuren wird sich nur schwerlich einstellen. In der Erzählung von offenen Körpern und Fragen gelingt Susan Turcot ein literarischer Rohrschachtest. Die Linie führt vorbei an der Schrift, zur Zeichnung, in die Skulptur und zurück. Turcots Arbeit nimmt die Frage der Erzählung nicht gerade wörtlich. Das Narrative erklärt sich über die Zeichenhaftigkeit und erscheint somit 'strangely familiar'.

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The thing I really feel comfortable about with a line is that a line is - first of all it's continuous, the line drawings aren't something that stops or starts, or is not scratchy, it is just one drawn line. As I used to work a lot with thread, just unrolling a thread, which is something to do with language as well, with communication. But it is also a kind of continuity that doesn't stop. and the line in the drawing is one line.

Was mir an einer Linie sehr zusagt, ist zuerst einmal die Kontinuität. Die einzelnen Linien der Zeichnungen beginnen oder enden nirgends, es ist jeweils eine gezeichnete Linie. Ich habe früher viel mit Zwirn gearbeitet, dem Abrollen der Schnur von einer Spule, was sehr viel mit Sprache zu tun hat, mit Kommunikation. Aber es ist außerdem eine ähnliche Art der Kontinuität, die nicht endet, und die Linie in der Zeichnung ist eine Linie.

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- 2.februar 1997 -


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