6.april 1997



Belanglosigkeit der zeitgenössischen Architektur

Thomas Leeser im Gespräch mit Silvan Linden


[text als audiofile]


Die Welt ist groß und der Kopf ist klein. Und so wie mancherorts die Kombination von zwei Menschen und zwei Hunden als Ideal gesellschaftlicher Ausgeglichenheit gelebt wird, so gibt es Dinge die einfach mal gesagt werden müssen. Die Welt ist groß und sie wird immer größer.
Fünf Milliarden Menschen machen sich derzeit fünfmal so viele Gedanken wie eine Milliarde Menschen noch vor hundert Jahren. Hinzu kommen ein paar hundert Millionen Computer und ihre Vernetzung. All diese Menschen und Computer bewohnen, schaffen und denken Räume, Zwischenräume und Realitäten. Diese Perspektive ist gewaltig.
Zwischen alledem steht der Architekt und sein Skizzenbuch der besseren Welt. Wenn er denn nicht gerade in Berlin lebt wo im Zustand der kollektiven Lähmung der faktische Neubau einer gesamten Stadt beziehungsweise zweier Städte eine planerische Willensäußerung nur soweit duldet, als hier die Begrifflichkeiten geliefert werden, warum denn ein Neubau gar nicht neu sein muß und ein Umbau nicht alt - dann lebt er vielleicht in New York und heißt Thomas Leeser. Dort unterrichtet er an der Columbia University gerade eine Klasse zu dem Thema Architektur und Banalität.

Das Banale ist möglicherweise eine Art internationaler Sprache - das Banale ist also nicht unbedingt etwas Negatives. Ich denke es ist zunächst eine einfache Tatsache und in diesem Sinne ist vielleicht wichtiger und einflußreicher als das, was im landläufigen Sinne unter Hochkultur und Schönheit verstanden wird. Das Banale ist gegenwärtig. Langeweile ist ein vergleichbarer Aspekt, Langeweile ist ein wichtiges kulturelles Phänomen. - Es gibt diese japanische Künstlerin die ihr Leben damit verbringt Punkte zu malen; auf Wände, auf Bilder - ihre Kleidung hat Punkte, alles hat Punkte. Sie sagt, Langeweile ist für sie wichtiger als es das Licht vermutlich für die Impressionisten war. Architektur die irgendein Image oder einen Stil hervorbringen will, mißversteht womit wir unser Leben verbringen und wie Städte tatsächlich funktionieren. Wenn man willkürlich Telefongespräche aufzeichnen würde und sähe womit Menschen ihr Leben verbringen, wäre man wahrscheinlich schockiert.
Wenn man die sogenannte MTV-Generation betrachtet, die ist nichts als gelangweilt, sie liebt das Banale und zieht eine Menge Energie aus völlig banalen Dingen. Das Banale ist in unserer Gesellschaft sehr dominant geworden. Mac Donalds ist überall. Das ist nicht neu und sehr einfach - es ist für Architekten nur sehr schwer, das zu begreifen. Wichtiger als dieses Phänomen zu bekämpfen, ist es zu verstehen, wo und wie Architektur diesen Einflüssen ausgesetzt ist. Ich rede dabei nicht von banalen Gebäuden, ich rede von einer anderen architektonischen Qualität
Wenn wir hier über Architektur, Stadtplanung, öffentliche Räume, Museen usw., reden, dann ist es in diesem Zusammenhang kein Zufall wenn wir eine gewisse Homogenität feststellen und beispielsweise Flughafenlobbies mittlerweile vielfach so aussehen wie Museumslobbies und Kirchen anfangen so auszusehen wie Konzernlobbies. Es gibt eine gewisse Uniformität der architektonischen Sprache und das weltweit - aber niemand scheint darüber reden zu wollen, weil dies auch etwas mit dem Versagen der traditionellen architektonischen Mittel zu tun hat.

Während sich die Welt der Architektur bis vor wenigen Jahren als manierierte Postmoderne noch davon zu überzeugen vermochte, mit den klassischen Mitteln der Architektur räumliche Unikate von Stadt und Haus zu errichten - scheint es damit jetzt vorbei zu sein. Zumindest wohnt der Wunsch nach einer gebauten städtischen Identität zunehmend in sprachlosen Hüllen, die von einer Kontinuität erzählen wollen, die es nie gegeben hat. Insbesondere das Berliner Modell der Zwangsbesinnung ignoriert standhaft alle Fortschritte der Lebensmittelindustrie in der Bereitstellung synthetischer Frische und predigt den echten Stein.
Tatsächlich aber werden allgemein die Zyklen der Erneuerung immer kürzer und die Bandbreite menschlicher Lebensformen immer größer. Die Bandbreite architektonischer Sprache wird derweil immer kleiner, als ob die Architektur, wenn sie vor die Aufgabe gestellt wird den Wandel zu beherbergen auf die Oberfläche einer Lesbarkeit reduziert würde, derer sie sich nicht zu bedienen weiß und jener Alltagskultur überläßt mit deren Accessoires der Gewöhnlichkeit sie sich so schwer tut. So ist sie denn selbst gewöhnlich und wird dort zum Träger des schlechten Gewissens, wo man die Schrecken der Moderne so richtig spaßvoll dann doch nicht leben möchte.
Eine Architektur der Oberfläche und des Zwischenraums scheint schwer vorstellbar und hat auch keinen Markt. Die Flexibilität von der sie nichts wissen darf, findet dann dennoch statt, allerdings jenseits einer baulichen Idee und allen Widerständen zum Trotz.

Berlin ist eine Stadt, die in ihrer Geschichte mehrfach entwurzelt worden ist und deshalb gibt es vielleicht auch keine Tradition die fortzusetzen wäre. Traditionen verändern sich. In den letzen 5 Jahren hat sich die Stadt radikal verändert - in einer absolut untraditionellen Weise. Die jetzt gebaute Stadt repräsentiert wahrscheinlich sehr genau wofür sie steht: eine neue Möglichkeit Geld zu verdienen. Es gibt keine zusammenhängende Idee wofür die Stadt kulturell zu stehen hat. Sie steht für ein paar Konzerne die viel Geld haben. Das Ergebnis ist unter architektonischen Gesichtspunkten banal. Berlin ist gewissermaßen zum Symbol der Gleichförmigkeit geworden, zum Symbol der Banalität des Geldes.
Deshalb denke ich, ist es wichtig daß die Architektur in der Lage ist mit dem banalen als einer mächtigen Größe umzugehen, hinsichtlich darauf wie Städte aussehen, wie Öffentliche Räume aussehen und aufzuhören vorzugeben es gäbe dabei irgendeine kulturelle Ambition.
Wenn die Stadt traditionell mit ihrer Form und ihren Räumen befaßt war, denke ich, daß man mit Sicherheit argumentieren kann, daß sich dies verändert - Städte haben mittlerweile die Möglichkeit sich so schnell zu verändern, daß das Programm und die Struktur einer Stadt viel flexibler und offener sein muß, als es sich über klassische Vorstellungen von Raum und Volumen abbilden ließe. Berlin ist ein Beispiel dafür, wie schnell sich eine Stadt durch politische und ökonomische Einflüsse verändern kann.
Städte sind nicht statisch. Sie haben kein festes Raumprogramm. Ich lebe und arbeite hier in einen Raum, der vor 20 Jahren noch eine Nähmaschinenfabrik war, jetzt ist es eine sehr begehrte Immobilie die wiederum noch vor zehn Jahren absolut niemand haben wollte. In Chelsea passiert zur Zeit das gleiche - dort werden auf einmal für viel Geld Häuser verkauft, die noch vor einem Jahr niemand haben wollte.
Auch der Tourismus ist ein solcher Einfluß der Städte völlig verändert. Es sind die Vorstellungen und Bilder derentwegen Menschen nach NY kommen. Die Touristen gehen nach Soho um sich Künstler anzugucken, die Künstler ziehen weg und wegen der Touristen ziehen dann große Handelsketten ein. Solche Prozesse sind nicht in der Hand von Stadtplanern; Touristenattraktionen kann man nicht planen. Man kann Disneyworld planen aber keine Stadt.

Auf dem deutschen Baumarkt hingegen scheint einzig Kanzler Kohl einen tieferen Einblick in die Hochkultur der Langeweile gefunden zu haben - allerdings aufgrund einer tragischen Verwechslung von Langeweile und Stillstand. So herrscht Verzweiflung und nur in den seltenen Momenten in denen der Kanzler aufs Klo muß verläßt uns der Schatten der Gemütlichkeit und die Nation durchzuckt eine Idee von Bewegung und Zeit. Denn statt endlich eine Kultur der Heimatlosigkeit und Entwurzelung als rasenden Stillstand oder auch in einer Art Star Wars Esoterik zu leben, sucht die nationale Identität ihren Frieden immer noch in der Umschichtung geschichtlicher Sedimente mit dem Werkzeug des Wartenden.


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- 6.april 1997 -


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