6.april 1997



Das unheimliche Schaf

Heike Föll


[text als audiofile]


"Irgendwie monströs und beängstigend sei es ja schon, meint Rupert, der in der nahen Psychiatrie - Klinik in Roslin die Heizkessel in Gang hält. Irgendwo habe er gelesen, manche Wissenschaftler setzten die Existenz der im Labor geschaffenen Dolly in seiner Bedeutung mit der Erfindung der Atombombe gleich - und dieses unheimliche Tier steht nun keine Meile vom Zapfhahn des Pubs entfernt im Stall."

beiträget der Spiegel.

Und weil ich mich seit einiger Zeit für 'Unheimliches' interessiere, kommt mir das Schaf Dolly sehr gelegen. Abgesehen von seinem Namen, sicherlich dem Herrenwitz - Hirn des Genforschers Wilmut angesichts der 'Euter / Dolly Parton'-Assoziation entsprungen, ist Dolly äußerlich und innerlich ein Schaf wie andere auch.

Dieses, so der Spiegel, "vaterlose Wesen, aus einem Euter gezeugt und mit elektrischem Strom zum Leben erweckt" blickt bei der 'Medienpräsentation' schafsäugig in die Kameras, von Unheimlichem gibt es auf den Pressefotos nicht einmal einen Rest zu erkennen.
Abgebildet ist ein Schaf. Keine 14-äugige Fliege wie 1995 (von der ich allerdings noch keine Abbildung in den Medien gesehen habe), auch kein übergroßes Schwein.
Und wer will überhaupt mit Sicherheit wissen, ob Dolly tatsächlich geklont ist, oder nicht doch vertauscht? Das Schaf trägt keinerlei erkennbare Zeichen seiner Produktionsweise.

Um zu klären, warum dieses Tier 'unheimlich' genannt wird, hole ich mir Freud's Abhandlung von 1919 über die Ästhetik des 'Unheimlichen'. Freud sieht die wesentliche Bedingung für das Zustandekommen der Empfindung des Unheimlichen in einer "intellektuellen Unsicherheit".

"Je besser ein Mensch in der Umwelt orientiert ist, desto weniger leicht wird er von ihr den Eindruck der Unheimlichkeit empfangen."

Im Spannungsfeld zwischen Vertrautem, durch das Wort 'heimlich' bezeichnet und seinem Gegenteil siedelt er die Empfindung des 'Unheimlichen' an. Freud verdeutlicht das so:

"...es ist am interessantesten, daß das Wörtchen heimlich unter den mehrfachen Bedeutungen eine zeigt, in der es mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Das Heimliche wird dann zum Unheimlichen. ... Wir werden überhaupt daran gemahnt, daß 'heimlich' nicht eindeutig ist, sondern zwei Vorstellungskreisen zugehört, die, ohne gegensätzlich zu sein, einander doch recht fremd sind, dem des Vertrauten, Behaglichen und dem des Versteckten, Verborgengehaltenen. Unheimlich ist nur als Gegensatz zur ersten Bedeutung, nicht auch zur zweiten gebräuchlich...Unheimlich ist irgendwie eine Art von heimlich."

Dolly steht an der Schnittstelle zwischen dem 'heimlichen', das Schaf als Symbol für vertraute 'Natur', Schmusewolle, biologischer Schafskäse, christliches Reinheits - und Leidenssymbol und dem 'unheimlichen', der High - Tech - Ära mit neuen Gen - und Reproduktionstechnologien, etwas, worin man sich zumeist "nicht auskennt" oder wo etwas

"real vor uns hintritt, was wir bisher für phantastisch gehalten haben".

Vertrautheit steht höchst unvertrauter Technik / Technologie gegenüber. Das Nicht - Unterscheidenkönnen von 'Natürlichem' und Technologischem ruft Unsicherheit hervor, und die bekommt dann den Namen 'unheimlich'.

Auch als Doppelgänger ist das Klonschaf im Freud'schen Sinne durchaus 'unheimlich'. Das Schaf, das aussieht wie all die anderen Schafe ist noch dazu genidentisch, wahres Doppelgängertum, "die Wiederkehr des Gleichen". Zitat Freud:

"Wir erkennen, daß es das Moment der Wiederholung ist, welches das sonst Harmlose unheimlich macht und nun die Idee des Unentrinnbaren, Verhängnisvollen aufdrängt."
und an anderer Stelle:
"Der Doppelgänger ist zum Schreckbild geworden, wie die Götter nach dem Sturz ihrer Religion zu Dämonen werden."

Ähnliche Schrecken müssen einen amerikanischen Genetiker wohl geplagt haben, der Überlegungen anstellte, ob ein Mensch und sein Klon wohl diesselbe Seele haben können.

In der zeitgenössischen bildenden Kunst gibt es seit einiger Zeit verschiedene sowohl bewußte als auch ungewollte Ansätze, was eine mögliche Repräsentation des Unheimlichen angeht. Mike Kelley zeigte 1993 in Sonsbeek eine Sammlung von seiner Meinung nach 'unheimlichen' Skulpturen und Abbildungen.
Auffällig ist hier die Darstellung des Unheimlichen vor allem in Verzerrungen bzw. Verformungen des menschlichen Körpers, eigentlich eher historisch oder ältlich anmutende Mensch / Maschine - Konstruktionen, Puppen, Automaten und Dummies.
Ich sehe darin ein 'Unheimliches', das im Zeitalter der schnellen technologischen Entwicklungen auf diese Weise nur noch zum Teil relevant sein kann.
Ein ferngesteuerter King Kong oder eine Hans Bellmer Puppe erzeugen den Effekt des Unheimlichen einfach nicht mehr.
'Post-Human', 1992 von Jeffrey Deitch kuratiert, thematisierte eine technologische Re-Definition oder 'Neuerfindung' von dem, was 'Körper' oder 'Selbst' genannt wird . Zitat Jeffrey Deitch:

"The new construction of self is conceptual rather than natural"
und
"In the human future artists are also involved in redefining life."

Im Katalog sieht man neumodellierte TV-Moderatoren.
Hier wäre auch Platz für Dolly , das unheimliche Schaf.



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- 6.april 1997 -


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