6. April 1997





contemporary german photography

Stefan E. Schreck


[text als audiofile]


Bilder von 24 jungen deutschen und zeitgenössischen Fotografen und Fotografinnen hängen an den Wänden der beiden Galerien Neuger/Riemschneider und wiensowski & harbord. Aber am Abend der Ausstellungseröffnung haben diese Räumlichkeiten nichts von den üblichen spröden Vernissagen. Wenn hier etwas zur Schau gestellt wurde, dann war es zunächst einmal die Inszenierung des eigenen Egos. Kein Wunder bei der Definition von Markus Rasp für zeitgenössisches:

Rasp
Zeitgenössich versteht sich eher, also in meinem Sinne, als junge Fotografie. Wenn man sich die Auswahl der Leute anguckt, dann bewegt sich das zwischen 25 und 35 Jahren. Daraus resultierte der Begriff "zeitgenössische Fotografie". Das man den dann noch mal genauer definieren muß, nämlich das es um Dokumentarfotografie geht, geschieht denke ich im Vorwort des Katalogs.

Der Katalog zur Ausstellung ist ein dickes Buch aus dem Verlag "Taschen" und zeigt von jedem Künstler und jeder Künstlerin eine selbst gewählte Arbeit. Darunter so bekannte Leute wie Eva Leitholt, mit einer Spurensuche in Rostock und Solingen, Wolfgang Bellwinkel aus dem Krisengebiet Bosnien-Hezogowina oder Frederike Hellwig mit Fotos von ihren Freunden aus aller Welt. Das soll er also sein, der Querschnitt durch die Deutsche Fotolandschaft angetreten unter dem verheißungsvollen Titel "zeitgenössische deutsche Fotografie". Der Art-Director vom Süddeutsche Magazin, Markus Rasp, sieht tagtäglich viele dieser Bilder und macht zwei wichtige Trends in ihnen aus:

Rasp
Es gibt so mehrere rote Fäden, die sich da durchziehen: Das eine ist sicherlich die Verabschiedung von dem "heißen Moment", also das was früher den Bildjournalisten ausmachte, möglichst nahe am Geschehen zu sein. Das passiert hier nicht mehr. Es sind Fotografien - oder Standpunkte der Fotografie - die sich eher zurücknimmt, also man wählt eher die Distanz. Ein zweiter roter Faden ist - das hängt aber auch mit der Arbeitssituation dieser Leute zusammen - das sie sehr viel Motive in ihrem Privatbereich suchen. D.h. da tauchen Freunde auf, da taucht die Umgebung auf, in der sie sich bewegen, da tauchen Bilder von Reisen auf, auf die sie sich begeben, der Blick aufs Detail zieht sich durch alle Arbeiten durch, also diese scheinbaren Nichtigkeiten, die aufeinmal in den Mittelpunkt gerückt werden.

Aber einen Anspruch auf Vollständigkeit hat dieser Fotoband ganz bestimmt nicht. Auffällig wie viele Münchener Fotografen und Fotografinnen zu sehen sind und, daß der Osten der Republik mit einer Ausnahme gleich ganz unter den Tisch fällt.

Rasp
Da ich nun hier in München arbeite, habe ich einen Überhang an Münchener Fotografen drin. Das hängt aber nicht mit irgendwelchen Vorlieben oder Qualitäten zusammen, sondern mit den direkteren Kontakten und ich bin nun mal jobmässig in München eingebunden und konnte mich jetzt nicht auf eine mehrwöchige Reise durch die Bundesrepublik begeben, um die Leute für dieses Buch zusammensuchen. Ich denke trotzdem, daß es ein guter Querschnitt ist und man muß ihn auch stellvertretend sehen für Leute, die aus dem Osten kommen und jetzt hier nicht vertreten sind.

Als Kurator eines solchen Projektes reicht es aber vielleicht nicht die Bilder, die sowieso auf den Schreibtisch flattern, einfach in ein Buch zu pressen. Mit dem Stempel der zeitgenössischen Fotografie versehen erhält es ein Gütesiegel, das allein unter marktstrategischen Gesichtspunkten verständlich ist. Versuche gab es zwar, auch die Studenten der Leipziger Hochschule für das Buch zu gewinnen. Aber Joachim Brohm, Professor für Fotografie in Leipzig, lehnte eine Beteiligung seiner Studenten ab. Das kann Markus Rasp nicht verstehen.

Rasp
Ich fand das in sofern problematisch, weil ich das Gefühl hatte, daß da einer jungen Generation der Sprung in so ein Buch verbaut wird. Ob man den Taschen-Verlag nun goutiert oder nicht, das ist eine andere Geschichte. Ich finde hier haben Leute eine Chance bekommen und ich kann nur hoffen, daß sie die nutzen bzw. das sie angesprochen werden.

Und dafür scheint das Buch tatsächlich bestens geeignet zu sein. Ein Werbekatalog für alle die, die auf den großen Auftrag warten. Wolfgang Stahr, im Katalog und der Ausstellung mit einer Bilderserie über New York vertreten, teilt die Auffassung seines Kurators.

Stahr
Es mag sein, daß es der ein oder andere für sich ablehnt, weil er den Taschen-Verlag nicht so korrekt findet oder sich nicht so verbraten lassen will, ohne Honorar da zu veröffentlichen, aber für viele wäre es vielleicht auch die Chance gewesen sich einen Namen zu machen oder die hätten sich gefreut über die Möglichkeit publiziert oder ausgestellt zu werden in anderen Ländern.

Denn die Ausstellungen soll auf Reisen gehen. Geplant ist sie in Paris, London, München, Köln und vielleicht in New York. Und das kann für eine veränderte deutsche Fotolandschaft im besten Sinne Werbung machen auch dort, wo man die Bechers immer noch für zeitgenössische deutsche Fotografie hält.

Stahr
Was ich bei der Sache sehr wichtig und auch sehr gut finde ist, daß es unter dem Aspekt des Exportprodukts in so Ländern wie Amerika einfach mal eine total neue Richtung aufmacht, weil es da leider immer noch so, daß viele denken, deutsche Fotografie ist synonym mit so einer bestimmten Becher-Schüler Fotografie. Also so der typische deutsche, starre, teutonische Blick, das große Bild, ganz unemotional, bedeckter Himmel. Einfach die Leute, die im Kunstbereich erfolgreich waren in den 80er, 90er Jahren und das die ganze andere Richtung, die jetzt in so einem Buch vertreten ist total unbekannt ist. An den Schulen ist das Neue aber genau eine Richtung, die ganz stark gemacht wird. Also abbildende Fotografie, Farbfotografie, vielmehr als früher, wenig s/w Fotografie, auch mit so einem Begriff von Journalismus, der weggeht von dem Einzelbild, sondern den Blick auf die allt&äuml;glichen Sachen und die kleinen Sachen.

Wolfgang Stahrs Arbeit, entstanden bei einem New York Aufenthalt im letzten Jahr lebt von den kleinen Augenblicken in der großen Stadt. Im Kontrast von Mensch und Architektur entstanden kleine Momentaufnahmen einer ruhenden Öffentlichkeit in Mitten des melting pot. Momente, die aber in Wahrheit sehr viel Zeit und Filmmaterial benötigen:

Stahr
Das Fotografieren an sich hat superviel mit Glück und Zufall zu tun. Man geht durch die Straßen sieht eine schöne Lichtsituation, die ist nur in einem Monat so, wenn die Sonne ganz flach steht und nur innerhalb von einer halben Stunde, wenn die Sonne in die Straße so und so reinscheint und durch zwei Häuser genauso reflektiert wird. Wenn man das entdeckt, dann freut man sich, bleibt stehen, macht drei, vier Filme und dann geht man wieder weiter.
Im Endeffekt gibt es zwei Strategien, die einem da bleiben, um das zu beschreiben, fotografisch. Die erste wäre nach anderen Möglichkeiten zu suchen, das wäre jetzt die klassische Obdachlosenreportage überspitzt gesagt. Man sucht Leute, die in einen gestylten Stadtraum nicht reinpassen. Die andere Strategie, die auch ich verfolgt habe, die ich auch grundsätzlich spannender finde, ist, das was man sowieso sieht so weit zu übersteigern, und somit Brüche hervorzurufen durch so eine Art Hyperrealismus, daß dadurch so etwas entsteht, das meiner Meinung nach auch die Zeit mitreflektiert.

Der fotografische Prozeß erscheint bei vielen Bildern in der Ausstellung ohne Theorie zu funktionieren. Das macht die Bilder leicht konsumierbar und den Katalog blättert man nach kurzer Zeit gelangweilt durch. Aber nicht allen Arbeiten wird das gerecht. Wolfgang Stahrs Foto-Diplomarbeit über New York entspricht am ehesten dem was man in deutschen Magazinen erwarten würde. Nicht aber als Reportage über die Stadt an sich, auch nicht über die schrille Szene in New York und auch nicht über die atemberaubenden Wolkenkratzer. Hier bastelt Theorie mit am Konstrukt menschlicher Existenz und reflektiert Zeiterscheinungen im Bild:

Stahr
Angenommen die Herangehensweise funktioniert über eine Theoriebildung, man überlegt sich Sachen, in einem Prozeß der lange vor den Bildern liegt, aber die Bilder letztendlich speisen sich durch verschiedene Einflüsse, die natürlich auch durch so etwas wie Populärkultur beeinflußt sind, durch MTV und Werbung. Wir leben nun mal in so einer Medienzeit. Das meine Bilder diese Nähe suchen und, daß das in so einer Übersteigerung auch wieder gebrochen wird, das ist für mich das was ich mit Pop gemeint habe. Das ist eine Frage die ich mitverarbeiten will.

Seine Bilder erscheinen einerseits poppig, farbig und perfektioniert andererseits entziehen sie sich einer klaren Ästhetik. Dennoch hat der Katalog zu Ausstellung seinen Dienst schon getan. Die Werbeindustrie hat bereits angeklopft. Eine große deutsche Automarke würde Wolfgang Stahr gerne für Probefotografien engagieren. Genau das was Markus Rasp sich für seine kuratierten Schützlinge erhofft hat. Oder?

Rasp
Gut was jetzt die einzelnen Leute daraus machen, ist ihre Sache. Sie müssen sich jetzt bei den Angeboten natürlich entscheiden, was sie machen wollen. Das Buch war angelegt als Präsentation dieser Leute und ich finde wichtig, daß so eine Art Fotografie Einzug hält in Werbung und in Magazine wie sie im Markt präsent ist. Ein Großteil der jungen Generation fotografiert so, nur man sieht es nirgendwo und wenn ich mir die Werbung so anschaue, dann kann ich nur hoffen, daß ein paar von den Leuten Einzug in dieses Feld halten. Weil das kann nur spannend werden und das ist nun mal die Bildsprache einer jüngeren Generation und da will die Werbung hin und da werden auch die Magazine hin müssen, diese Leute anzusprechen. Und das schafft man vielleicht mit dieser Art von Fotografie ein bißchen besser.

Mit Autos und Werbung haben die Bilder eigentlich wenig zu tun. Eher schon mit einer Ästhetik, die ihr Dasein in der dokumentarischen Fotografie gerade erst begonnen, schon wieder beendet hat, und nun Einzug in die Werbung hält. Ein banaler Vorgang. So ernüchternd wie erwartungsgemäß. Aber eben für junge Fotografen wie Wolfgang Stahr auch ein konsequenter Schritt:

Stahr
Die Großindustrie leistet sich auch schon mal den Ruf dadurch aufzubessern, indem sie ein sogenanntes Experimentalshooting durchführen (lacht) - so haben die das genannt - indem sie Leute nehmen, die klassischerweise nicht aus dem Bereich kommen, die es normalerweise machen, und erhoffen sich dann eine frische Art ihre Autos in Szene zu setzen. Die haben natürlich ihren normalen Kulturetat, wo sie Künstler finanzieren, wie jede Großindustrie, aber auch ihren Werbeetat, wo sie normalerweise ihre Autos im Studio oder vor schöner Landschaftskulisse ins Licht setzen. Das ist praktisch so ein Zwischending: wo sie junge Leute da ranholen, die sollen mal was machen und erhoffen sich etwas furchtbar kreatives davon.
Ich glaube ich bin der Einzige, wo in einem Bild überhaupt ein Auto erscheint. Ich dachte am Anfang das sei der Grund dafür (lacht). Das glaube ich inzwischen nicht mehr. Das wäre ein bißchen banal. (lacht)


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- 6. April 1997 -


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