4.Mai 1997





Akte X - Im Mythenpool der 90er

Dana Sohrmann


[text als audiofile]


Außerirdische im Anmarsch! Invasion from outerspace!
Solche Schlagzeilen hätten in den 50ern vermutlich Panik verursacht, als das ideale Feindbild, der russische Bolschewik, noch eine ernstzunehmende Bedrohung darstellte. Heute löst die selbe Nachricht völlig andere Reaktionen aus. Riesige Menschenmassen pilgern erwartungsfreudig zum Ereignisort - den lokalen Lichtspielhäusern oder dem heimatlichen Fernseher, denn: es ufot gar sehr auf allen Mattscheiben und Leinwänden und, wie kann es anders sein, in den Köpfen der Zuschauer.

Als 1973 der Film UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART heraus kam, stieg die Zahl von UFO - Meldungen in Rekordhöhe. Das gleiche scheint seit einiger Zeit zu passieren. INDEPENDENCE DAY oder MARS ATTACKS schwimmen dabei allerdings nur im Kielwasser eines TV-Produkts. Trendsetter der UFOmania ist nämlich eine amerikanische Serie, die X-FILES, jene unheimlichen Fälle der FBI Agenten Fox Mulder und Dana Scully, die in den USA bereits in die 5. Staffel gehen.

Titelmelodie

Nach der Pilotfolge fast einhellig als Totgeburt abgestempelt, erwiesen sich die X-AKTEN bald als Nummer 1 Hit, der sich von herkömmlichen Krimi-, Sience fiction,- und Aktionserien deutlich unterscheidet, denn so recht scheinen die X-Files in keine der bereitgestellten Schubladen zu passen. Der Trick: man nehme von allem etwas und kreiiere damit einen Genre-Cocktail, der Fans vom Scifi bis zum Krimispektrum anzieht.

Ach wissen sie, ich habe schließlich nicht all die Jahre Star Trek gesehen, ohne etwas über Mut zu lernen.

Mit einem zusammengewürfeltem Mischmasch aus allerlei Versatzstücken läßt sich der Mattscheibenkonsument natürlich nicht ohne weiteres abspeisen. Gehalt entsteht bei den X-AKTEN durch ein weitschweifiges Themenfeld, das seine Nahrung aus dem Mythenpool der gesamten Menschheitsgeschichte bezieht; der alten, wie der neuen; Das heißt vom eingemotteten Werwolf bis zum infizierten Rindvieh . Markenzeichen bei der Behandlung solcher Phänomene ist deren Verarbeitung in zeitgenössischem Kontext, sodaß auch ein Vampir-Thema nicht antiquiert wirkt. Munter, aber nicht in jedem Fall augenfällig wird dabei aus der Filmgeschichte zitiert. Auf diese Weise bedient man sich gezielt schon vorhandener Raster, denen eine neue Version übergestülpt wird.

Mulder:
Wem bin ich hier auf der Spur?, Senator: Monstern, die Monster hervorbringen

Ursprünglich sollten die inhaltsschwangeren Themen von einem Duett im Stile muskelbepackter Superman und langbeinig/hirnlose Blondine nach dem Willen der Fox präsentiert werden. Damit hätte immerhin die Zielgruppe der Mittfünfziger erreicht werden können. Das aktuelle Agentenpaar rational/skeptische Wissenschaftlerin und feinfühliger Esoteriker eröffnete allerdings weit größere Entwicklungsebenen. Auch hier lautet die Devise: alles ist möglich, bis auf horizontale Begegnungen. Mulders und Scullys Partnerschaft ist in Bewegung, es kann schon vorkommen, daß sich die Agenten nur angiften oder sogar die Waffen aufeinander richten. Gerade dieser Wachstumsprozeß, der im Übrigen auch auf die anderen Figuren zutrifft, entzieht dem Publikum den sicheren Boden der Stereotype unter den Füßen und sorgt stetig für Überraschung.

Als Chris Carter, der Vater der X-Akten, seine Serienidee ausbrütete, stützte er sich nicht allein auf seine Intuition, sondern auf handfeste Daten. Etwa 40 Prozent der Amerikaner glauben angeblich an Außerirdische, woraus eins der Hauptthemen von AKTE X entstand. Ein Glücksgriff auch deswegen, weil auf diesem Distrikt immense Kontroversen toben, was Stoff für zahlreiche Staffeln hergibt.

Gespräch Mulder-Scully
S: Was schauen Sie sich da an?
M: eine angeblich authentische Autopsie an einem Außerirdischen.
S: Wieviel haben sie dafür ausgegeben?
M: 29,95 plus Versandkosten.

Mit kleinen grünen oder auch silbrig/grauen Männchen hat das aber nicht viel zu tun. Der Rahmen spannt sich stattdessen auf der Trennlinie zwischen Wahrnehmung und Täuschung, Realität und Fiktion. Zu allen Zeiten erregten unerklärliche Vorgänge am Himmel das Interesse der Erdenbewohner. Je nach kulturellem Kontext wurden solche Ereignisse als Zeichen eines Gottes, als Kreuz oder Drache oder eben als Beweis außerirdischen Lebens interpretiert. Schnell ist so die These zur Hand, daß der neue Gott unserer Zeit wieder sehr materiell ist und Alien heißt. Technisch und an Intelligenz dem Menschen überlegen könnte die Menschheitsgeschichte praktischerweise von außerhalb ins Lot gebracht werden - oder aber ins Inferno. Die Frage nach UFOs und Aliens sublimiert sich letztlich aber als Frage nach der Wahrnehmung überhaupt.

Ihre Wissenschaftler müssen erst noch entdecken, wie neuronale Netze Bewußtsein schaffen können...daß zu sehen zu glauben bedeutet.

Geht man davon aus, daß jeder Gegenstand durch die Linse des Auges gebrochen wird und damit auf dem Kopf steht, so konstruiert jeder sein Abbild von der Wirklichkeit im Hirn für sich. Ergo jeder nimmt anders wahr. Ein Prinzip, auf dem die Serie offenbar aufbaut und das noch in doppelter Brechung auftritt, innerhalb der Serie als auch zwischen Zuschauer und Fernsehmedium.

Das hier kann gar nicht passieren, das hier kann

Die Frage nach der Realität von UFOs und Außerirdischen ist nicht nur eine private Passion von Agent Mulder, sondern zugleich eine Regierungsangelegenheit. Hier setzt ein Netz von Verschwörungstheorien, Verdächtigungen und Mißtrauen an, was wiederum sehr genau Befindlichkeiten der zeitgenössischen Konsumenten targetiert. Nach dem Kennedy-Mord, Watergate und all den anderen Skandalen hat die amerikanische Regierung bei ihren Bürgern einen schweren Stand und offensichtlich nicht nur sie. Die Beliebigkeit der ominösen Männer in schwarz spiegelt sich schon in deren Namenlosigkeit, die beispielsweise umschrieben wírd mit 'cigarett-man', 'Well manicured man' oder einfach Mister x. Dunkel sind in jedem Fall auch ihre Machenschaften.

Cig. Men: Haben sie ihre Arbeit abschließen können?,
X: alles an Menschen und Material ist entfernt worden, aber Mulder hat noch eins von diesen dingern
C: das beweißt gar nichts.

Akte X schafft es, die Phantasie des Zuschauers anzuregen und trotzdem glaubwürdig zu bleiben, immer eng an der Grenze des Möglichen. Wahrheit und Glaube sind Schlüsselwörter, die in praktisch jeder Folgen hinterfragt werden. So wie Agent Mulder wie ein Besessener der Wahrheit hinterher läuft und glauben möchte, bleibt auch der Zuschauer jedoch immer einen Schritt vor dem Tor der Eröffnungen zurück. Klare Antworten werden nicht geliefert. Diese Aufbereitung des Materials läßt demZuschauer genügend Raum, um sein persönliches 'Was wäre wenn Spiel' zu vollziehen, was eine der Hauptkonstituanten der Serie sein dürfte.

M: Wenn Entführungen nur geheimdienstliche...das kann doch nicht alles falsch implantierte Erinnerung sein!.

Wer weiß? Alle Fans der X-AKTEN haben einen ganzen Sommer Zeit, ihre eigenen Theorien darüber weiterzuspinnen. Ersatz für den Kult sollen jede Menge Plagiate bieten.
DARK SKIES und OUTER LIMITS haben sich zum Beispiel den Trend zunutze gemacht und versucht, ein paar Brocken aus dem Erfolgsrezept zu brechen, um ein eigenes Süppchen zu kochen. Beide Serien inszenieren Bedrohungen, die über die eher subtilen Botschaften der X-Akten deutlich hinaus gehen.In DARK SKIES haben die Aliens fast wie in MARS ATTACKS die Regie übernommen und man wartet im Grunde nur noch, was ihre Hyperhirne zum Platzen bringen wird. Setzt diese Serie wenigstens einen neuen Focus, indem die Handlung pseudodokumentarisch in die 60-er verlegt wird und alle Fragen der Geschichte von Roswell bis zum Kennedy-Mord kurzerhand den Extraterrestrischen in die Schuhe geschoben wird, so bleibt OUTER LIMITS nicht viel mehr als ein Aufguß paranormaler Vorfälle,die reichlich uninspiriert daher kommen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit eine größere Fangemeinde auch für solche Light-Produkte heranwächst. Echte X-Philes können sich bis zum Herbst mit ihren Tapes, Büchern, Comics, Tassen und weiß der Kuckuck einstweilen über Wasser halten, auf daß die Kassen der Trend-Vermarkter ordentlich klingeln.

Skinner: ist das ihr Abschlußbeitrag Agent Mulder?
M: Ja, sir
Skinner: Ich sehe hier mehr Fragen als Antworten.

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- 4. Mai 1997 -


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