Paris - or the Art of Art Maintenance

Micz Flor


[text als audiofile]


Paris befindet sich in einer contemporären Umbauphase. In 'St German des Pres' südlich der Seine suchen Touristen eifrig nach Spuren von Voltaire bis Sartre, zwischen Dior und Armani die sich dort die Schinkel in die Hand geben. Im kulturhistorischen Zentrum können sich derzeit nur noch kulturelle mainstream Markenprodukte ihr Stück des Viertels abschneiden. Zugegebenermaßen sei Haute Couture auch eine Form künstlerischen Ausdrucks, aber seit der dramatischen Schließung des traditionellen Vorzeige-Buchgeschäftes 'Le Divan' und der Übernahme durch Christian Dior letzten Winter klettert der Kiez auf die Barrikaden. Man rief den kulturellen Notdienst 'SOS St. German des Pres' ins Leben, um zu retten was noch zu konservieren ist. Kulturtransfer im 90er Jahre Schock. Was sich heute damit schmückt früher 'avantgarde' gewesen zu sein verschließt sich dem was morgen als avantgarde wahrgenommen werden könnte - durch unbezahlbare Mieten.

Junge zeitgenössische Kunst muß raus aus dem Zentrum und entkommt dem Bankrott in die Peripherie. Im April rollten sechs Galerien ihre Leinwände zusammen, spulten die Videotapes zurück und zogen 11 Metrostops gen Westen, mit viermal umsteigen. Dort wurden sie wärmstens empfangen. Der 13te Bezirk der Stadt gibt sich zeitgenössisch. Im Schatten der nagelneuen 'Bibliotheque Francois Mitterrand' weißte man die Ladenzeile leerstehender Bürobauten und eröffnete das neue Zentrum am 1. April mit vollem Programm. Es sei schon ein Erlebnis gewesen, ein Spektakel, gesteht ein zurückgelassener Galerist mit unsicherem Blick auf Notredame; fügt jedoch hinzu, daß sich das wilde halbe Dutzend wenige Tage nach der Eröffnung im Kollektiv eine Tischtennisplatte zugelegt hat. Langeweile zwischen belangloser Architektur. Die Wochen zwischen den Eröffnungen sind lang.

Frankreichs Kulturpolitik ist ein Chaos, da sind sich alle einig. Mitterrand entschied mit Regierungsantritt Anfang der 80er kulturell vor allem die Provinzen zu unterstützen. Gegründet wurden abgelegene Regionale Stiftungen für zeitgenössische Kunst, sogenannte FRACs, die internationale aber vor allem auch nationale junge Kunst akkumulieren. Paris blieb weitgehend unbehelligt. Viele Galerien finanzierten sich in den 80ern ausschließlich über Verkauf an diese Stiftungen. Leider hat man in den letzten Jahren versäumt die FRACs mit Ausstellungsräumen zu versehen, so daß junge Kunst in staatlichem Besitz meist weggestapelt und nur selten in Gruppenausstellungen zu sehen ist.

Seit dem Regierungswechsel werden diese Gelder drastisch gekürzt. Frankreich ist in einer kulturellen Depression. Zeitgenössische Galerien haben sich nie um private Sammler bemüht, die peripheren Regionen Frankreichs habe nicht das Geld ihr Programm fortzuführen und Paris hat an Instituten zeitgenössische Kunst nicht viel zu bieten.

Hoffnung erscheint in Form des ehemaligen Kultur- und jetzigen Justizministers Jaques Toubon. In seiner simultanen Funktion als Bürgermeister des 13. Arrondissement versucht er sich an der koproduktiven Entwicklung von Wirtschaft und Kultur. Die endlose Prärie leerstehender Büroflächen gesäumt durch anthrazit-farbene 80er Fassaden stellt er den umgesiedelten Galerien gratis zur Verfügung. Auch hofft man in der Szene schon auf das Institut für zeitgenössische Kunst, das in den nächsten Jahren ganz in der Nähe entstehen soll. Momentan verbringen junge Künstler und Galeristen noch viel Zeit mit Reisen in die Provinz: Eröffnungen in Institutionen in Bordeaux, Tulouse, Marseille und Lyon. Paris beherbergt nur Szenekneipen, Studios und Faxgeräte.

Wie sich Kunst in der Peripherie des Zentrums entwickelt verfolgt man gespannt. Die derzeitigen Ausstellungen geben sich noch unsicher poppig. Die nächste Eröffnung ist erst in ein paar Wochen. Doch dann wird sich die junge Kunstszene Frankreichs wieder in der Vorstadt der Hauptstadt versammeln, um dort über ein Glas Bordeaux und Medoc die verfahrene Situation zu reflektieren.
Micz Flor, Paris.




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- 4. Mai 1997 -


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