1.Juni 1997





Platzparadies

Stefan Schreck


[text als audiofile]


Bauarbeiter 1
und da geht hinten so ein berg hoch mit 200 metern. südlage, wunderbare gegend ist das da. mein platz ist das, im sommer. da haben wir einen kirschbaum drinnen und gartenstühle. das ist eigentlich mein platz, wo ich mich ausruhe. das ist eigentlich mein platz.

Paul Zech schrieb 1913 in einem Gedicht über den Potsdamer Platz, er sei wie eine pulsierende Blutquelle. Gemeint war damit der größte und verkehrsreichste Platz Europas. Mit ähnlichem Blick ist das gut 50 minütige schwarz/weiß Video des Berliner Filmemachers Uli Schüppel inszeniert. Die Baustelle auf dem Potsdamer Platz wird dargstellt als ein imaginärer Körper, der pulsiert, vibriert, sich bewegt und unaufhörlich wächst, aber eben noch Zeichen seiner ehemaligen Brache in sich trägt.

Bauarbeiter 2
erstmal passen ja die berge nicht so richtig in die wüste. und dann ist es grün. dieses grün der wüste ist irgendwie ein völlig anderes grün, wenn man halt mal im wald steht. weil diese beiden farben so vollkommen konträr sind. das gelb und diese grünen palmen. und dann kamen wir immer näher und sind da so reingelaufen und von diesem felsen, da muß wohl irgendeine quelle gewesen sein, plätscherte so dieses wasser darunter und die palmen waren obstbehangen und man lief da so dadurch. war natürlich ein wesentlich anderes klima als in der wüste, durch die viele feuchtigkeit. und, wie soll man sagen, es war dann so halt ein paradiesischer eindruck. also es gibt bestimmte augenblicke im leben, wo man denkt, jetzt ist mal so ein urmoment, also, wo man mal so richtig inhalieren kann. das war so ein augenblick, wo ich gedacht habe, ja, der ist gut. man hat jemand bei sich, den man unheimlich gerne hat. das ist ein platz, der einem richtig gut gefällt und man denkt, naja, warum kann das eigentlich nicht immer so sein.

Uli Schüppel erzählt ganz streng durchstrukuriert die Enstehung der erwzungenen neuen Mitte von Berlin. Dabei stehen vier Elemente im Mittelpunkt seiner Kollage: Wasser, Erde, Luft und Stahl. Und als Kontrast und eigentlicher Schöpfer des ganzen: der Mensch. Die Bauarbeiter aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern, auf der nunmehr größten Baustelle Europas, hat Schüppel stundenlangen interviewt, um schließlich zu fragen, welcher Platz in ihrem Leben für sie der schönste Ort war.

Collage verschiedene Arbeiterstatements (vielsprachig)

Arbeiter verschiedener Länder - Schotten, Russen, Polen, Deutsche, Franzosen - erzählen aus dem Off von romantisierten Orten in der Natur und gleichzeitig sieht man wie sie ihre Tätigkeiten auf dem Bau vollrichten, sieht man wie grosse Baggerschaufeln die Erde umwühlen, wie Druckwasserschläuche sich im Schlamm rekeln, wie Eisenträger in den Boden gerammt werden.

Baustellengeräusche

Der Platz galt den Aufklärern als die urbane Form, um die Mängel der Stadt zu kurieren. Er sollte die Stelle sein, an dem die Menschen zu Geschäft und Vergnügen zusammenkommen. Noch ist davon auf dem Potsdamer Platz, deren Bauherrn ähnliche Motive haben, nichts zu spüren. Noch ist es eine endlose Bauswüste. Und die die da bauen, haben ihre ganz eigene Vorstellung von einem schönen Platz.

Bauarbeiter 3
es ist grün, nur felder und wiesen. da, wo ich drauf stehe, ist eben mal ein acker gewesen, vollkommen flach, flaches land, etwas entfernter ein kuhstall, den können wir aber auch nicht sehen. es ist nichts aufregendes. es ist nichts, gar nichts. ruhe, nur ruhe, felder, wiesen, wunderschöne hecken, schön mit heckenrosen und flieder, der dann blüht im mai und ruhe.

Mit der Montage der Bilder und den Erzählungen aus dem Off soll der Film eine Wechselwirkung aus Natur und gebautem Willen zeigen, der in sich das Ideal eines Platzes, wie ihn sich die Aufklärer vorgestellt haben, vereint. Nur daß sich heutzutage das Geschäft und die beharrliche Kraft des Bauwillens ein Denkmal setzen. Der Mensch und seine Ideale sind dem wirtschaflich orientierten Aufklärer gleichgültig.
Zu Zeiten von Hogaths London oder Rousseaus Paris, galt den Zeitgenossen die Stadt als Ort, an dem die Menschen ihres inneren Lebens durch Illusionen beraubt wurden. Auch die Bauarbeiter auf dem Potsdamer Platz begeben sich in ihre Kindheit, in die Heimat, auf Reisen, unter Wasser, über die Wolken, um ihr Inneres wieder zu entdecken.
Der Platz, an dem sie sich wohlfühlen kann nicht von Menschenhand gebaut werden.

Bauarbeiter 4
in jordanien, am roten meer, 50 meter weit glasklares wasser. und dann stell ich mir vor, bei den fischen zu sein. die sind so ruhig. ein zackenbarsch kommt, stupst dich an und sagt: kannst du mich streicheln. so eine friedenvolle ruhe, so ruhig, das kann man gar nicht beschreiben, das muß man fühlen, daß muß man mitgemacht haben. so ruhig und alles so friedlich. man hört nichts, kein lärm, nur das blubbern vom lungenautomat und da schwebt man so hin, mit den fischen und so.

Aus den Klängen der Baustelle hat der Berliner Musiker FM Einheit ehemals bei den Einstürzenden Neubauten eine Soundkollage erstellt. Zusammen mit den Erzählungen der Arbeiter ergibt das ein Gesang der Illusionen, der den Potsdamer Platz zu einer Projektionsfläche werden lässt. Das was diese Menschen suchen, werden sie in dem fertiggestellten Potsdamer Platz allerdings nicht finden. Das scheint hier tragisch gemeint, wo sie doch selbst an deren Errichtung beteiligt sind. Die Distanz zu dem größten Bauvorhaben Europas wird in jedem Satz spürbar, wie wenig das alles mit Menschen und seinen wahren Bedürfnissen zu tun hat und wie sehr die Berliner nach dem Mauerfall in einen Taumel der Bilder geraten sind. Man kann den Film auch als ein Pladoyer für die leere Fläche, für die reine Natur oder zumindest für behutsamen Umgang mit Stadt verstehen. Mag sein, daß dies nur eine Projektion ist. In Berlin auf dem Potsdamer Platz wird gebaut aus Wasser, Erde, Luft und Stahl - und das ist eine Illusion.

Baustellengeräusche

e-mail an Stefan Schreck

- 1.Juni 1997 -


e-mail an die Redaktion

COPYRIGHT NOTICE: Das Copyright der unter 'convex tv.' digital veröffentlichten Texte liegt bei den an gegebener Stelle angeführten AutorInnen. Die abgelegten Texte dürfen für den individuellen, nicht-kommerziellen und privaten Gebrauch heruntergeladen werden, wobei Copyright und Trademark angeführter AutorInnen, Organisationen und Produkte durch Dritte zu respektieren sind.

Publikation, Weiterleitung und kommerzielle Verwertung der Texte oder Auszüge derselben sind ohne Einvernehmen der AutorInnen untersagt.

Die Meinungsäußerungen der AutorInnen, sowie Zitationen sind nicht deckungsgleich mit der Meinung der 'convex tv.' Redaktion. 'convex tv.' ist nicht für den Inhalt und dessen Umgang mit Dritten, Copyright Regulationen und anderen Gesetzen verantwortlich.