1.Juni 1997





TRANSMEDIA '97 - animationen und andere restkörper-phänomene

Florian Clauss


[text als audiofile]


TRANSMEDIA 97 - animationen und andere restkörper-phänomene

trailers von 'guten appetit' und 'law of averages'

Das diesjährige Videofestival läßt spüren, daß dem Hype um Multimedia nach der Anfangseuphorie langsam die Luft ausgeht. Schon das Plakat zum Festival suggeriert einen Blick in die Tiefe, der aber doch an der Oberfläche hängenbleibt. Zu sehen ist ein geschlossenes Auge mit einer frischgenähten Narbe über der Augenbraue. Assoziationen drängen sich auf, wie Erweiterungen des Bewußtseins durch Hirnimplantate, so daß der Blick nach außen gar nicht mehr nötig wird. Aber auch das Gegenteil, der Blick nach innen, spricht für ein Anhalten, ein Durchatmen, um zu sehen was nach der Zeit der Hyperventilation an Luft übrig geblieben ist. Kurz gesagt, Transmedia bietet in diesem Jahr ein Forum der Reflexion, wie auch die Eröffnungsveranstaltung unter dem Titel Meta-Dramaturgien nahelegt.
Dabei bewegt sich das Festival in Gebieten, die außerhalb der klassischen Videokunst liegen. Nanotechnologen wie Internet World Messegänger betreten gleichermaßen das Foyer des Hauses. Ein Versuch, sich von Sparten zu lösen, Entwicklungen trans-parent zu machen? Dazu Bea Wölfling, eine der vier Programmgestalter:

bea wölfling
eine gradwanderung zwischen kunst und kommerz kann ganz fruchtbar sein. wir präsentieren ja auch verschiedene unternehmen aus dem multimedia-bereich. dieses jahr haben wir versucht, die ersten tage des festivals unter dem cyborg-begriff zu stellen. und da spielen natürlich nanotechnologien und hirnforschung eine große rolle.

Unter der Sparte Computeranimation liefen 15 Kurzfilme aus acht verschiedenen Ländern. Auch hier zeigt sich, daß die Entwicklung der technischen Medien als Leitmotiv immer wieder auftaucht. Ein Medium versucht sich selbst zu begreifen, und welches Genre wäre dafür besser geeignet als die Computeranimationen. Die Zeit der fliegenden Spiegelkugeln auf Schachbrettern scheint mit dem Aussterben der Amigageneration vorbei zu sein.

bea wölfling
die verfügbarkeit von technik wird immer besser. es entwickeln sich strukturen - produktionsstrukturen: künstler arbeiten eben auch mit programmieren zusammen und in dieser teamarbeit ist es dann möglich, längere arbeiten zu produzieren, was früher sehr aufwendig war.
ich denke, daß die besondere herausforderung der digital-technik in der entwicklung von neuen ästhetischen formen im sinne von hyperlink-strukturen und neuen navigationsmöglichkeiten liegt. das probieren immer mehr künstler aus, die sich vorher nur mit video beschäftigt haben, die jetzt versuchen, cd-roms oder internet-projekte zu produzieren.

zitat aus 'ghost in the shell'

Viele der gezeigten Beiträge operieren mit Vorstellungen, die an dem Phänomen Internet hängen. Auf der einen Seite werden ästhetische Mittel inszeniert, welche sich aus der Benutzeroberfläche des Multimedia-Pools ableiten. Auf der anderen Seite aber tauchen mythologisch aufgeladene Bilder auf, in denen apokalyptische Visionen mit der globalen Installierung des Netzes in Verbindung gebracht werden.

soundteppich aus 'deus ex machina'

Deus ex machina, so der Name eines Beitrags, handelt von der Aktivierung eines brachliegenden Kommunikations-Programmes, daß am Ende die reale Welt verpixelt. Schreckenszenarien von zerstückelten Menschenleibern, marschierenden Datenträgern in Form von Torsen bebildern die Leinwand - und das alles unter dem glänzenden Kommunikationszeichen @ mit stählernen Flügeln. Handelt es sich hier um ein neues Zeitalter, das seine Grenzen und damit auch seine Tragweite nur noch durch das Medium Computer erfassen kann? Zumahl sich die Präsenz des menschlichen Körpers letzten Endes dann nur in Polygonen, also geometrischen Objekten, ausdrückt. Dazu Thomas Macho, Dozent am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldtuniversität:

thomas macho
was sich beobachten läßt und zwar schon seit vielen jahrhunderten, ist, daß menschen komplexere organisationsformen, in die sie eintreten, mit körperbildern besetzen. dazu lassen sich viele beispiele bringen, das war z.b. mal eine der wichtigsten funktionen von königen, die so eine art doppelkörper-funktion hatten. auf der einen seite waren sie natürlich ein individueller, physischer körper, auf der anderen seite waren sie noch eine art repräsentation des reiches oder einer bestimmten idee und mußten ganz bestimmten regeln genüge tun, fast so wie die regenkönige von denen james george franzer in 'the golden bough' beiträget. es ist ein versuch, kollektive strukturen mit körperbildern verständlich zu machen. und die entscheidende frage an das netz wäre jetzt: ist das netz auch nur eine von vielen möglichen organisationsformen, die als neue organisationsform ausprobiert werden muß und daher mit bestimmten körperbildern, z.b. der verlagerung von hautgrenzen, operiert. also, wenn man sagt, im internet wird die ego-epidermis aufgelöst, dann ist die fantasie die, daß man sozusagen eine art superepidermis kriegt, die durch das netz selber gebildet wird.

Ist also der Verlust des Körpers, wie er im Zusammenhang mit der Virtual Reality diskutiert wird, nur ein Phasenproblem, das so lange interessant bleibt, wie sich die globalen Kommunikationswege konfigurieren? Das Verschwinden des Körpers wäre demnach ein Übergangsphänomen, eine Art Initation, damit sich auf der anderen Seite der Schwelle ein angepaßtes Körperbild aufbauen kann. In diesem Zusammenhang lassen sich auch die unterschiedlichen Geburtsbilder, welche in verschiedenen Animationsbeiträgen auftauchen, einordnen.

thomas macho
geburtsbilder, oder solche mythologisierungen drängen sich immer dann auf, wenn innen-außen-codierungen verändert werden. natürlich ist eins klar, daß nämlich die ganze kommunikation, internet, globalisierung der medien, usw., die innen-außen-codierung verändert. man kann ja z.b. innen sein, nämlich in der eigenen wohnung, aber trotzdem sehr weit außen.
mir kommt vor, daß man mit dem innen-außen-code sehr viel machen kann. anhand von ganz anderen fragestellungen: ab wann z.b. die idee der privatwohnung entstand, wie hat man da eigenräume abgegrenzt von öffentlichen räumen, was hat das für geschlechtercodierungen erfahren, usw.
selbst nach der erfindung des buchdrucks ist eine phase zu beobachten, in der die einblattdrucke, die dann frisch erfunden wurden, eben nicht nur von allen möglichen historischen oder sonstigen ereignissen handelten, sondern auch im bezaubernden ausmaß von wundergeburten, von mißgeburten, von seltsamen geburten, usw. erzählen, so, als wäre auch mit der erfindung des buchdrucks schon so ein problem eines ungreifbaren medialen zusammenhang, der sich am besten noch mit diesem übergang vom leben im mutterleib zum leben außerhalb vergleichen ließ, entwickelt worden.

Das Recht, künstliches Leben zu erzeugen, ist für jedermann zugänglich, vorausgesetzt, die Hardware ist ausreichend. Ob es sich dann letzen Endes um eine computeranimierte Kakerlake oder ein echtes Schaf handelt, ist egal. Beide leben, das eine auf der Leinwand, das andere in England.

thomas macho
man könnte natürlich das ganze auch in eine andere richtung auflösen, man könnte sagen: wenn es nichts zu unterscheiden gibt, dann gibt es eben nichts zu unterscheiden und dann ist es eben wirklich egal, ob jemand im inneren künstlich ist oder nicht. die frage wäre, an welcher stelle, in welcher spielsituation, in welchem gesprächsaugenblick ist dies überhaupt ein problem.
dann würde ich sagen, daß körper nichts anderes ist, als eine chiffre dafür, was man bei allen versuchen, außendistanzen aufzubauen, letzten endes nicht nach außen kriegt. es gibt eben ein restproblem von körperlichkeit, das in der bloch-phantasie 'zu lebzeiten krieg ich mich nicht los' drinsteckt. es gibt sowas klebriges, so eine restklebrigkeit von körperlichkeit, die nicht objektivierbar ist, die nicht ins vorstellen und denken übersetzt werden kann, die ich nicht auf distanz bekomme. und das ist etwas, was fasziniert, was aber auch erschreckt und was vielleicht in dem diskurs über künstlichkeit eine größere rolle spielen könnte. also, was von mir kann ich objektivieren, was ich kann ich von außen sehen und wie funktioniert das.

song aus 'riante contree'

Die Frage nach der Künstlichkeit entscheidet sich im Cyberspace an der Tiefenschärfe. Ist die Simulation perfekt gelungen, dann ist der Grad der Abweichung kaum mehr auszumachen. Doch gerade der Animationsfilm kann Bewegungen oder Bilder erzeugen, die eben nicht mehr deckungsgleich mit denen der materiellen Welt sind. Und hier entwickeln die ganzen Low-Budget-Produktionen ihre stärksten Potentiale, ganz im Gegensatz zum Main-Stream. Die Spuren des Geschaffenen werden nicht kaschiert, sondern lassen in ihrer Künstlichkeit einen stilisierten Blick auf die reale Welt zu. Dabei werden Bedeutungen oder Zusammenhänge übertragen, die in einem abgeschlossenen System so nicht auffindbar wären. In diesem Sinne können Computeranimationen gerade die Grenzbereiche visuell belichten, die bei dem Umbruch zur einer neuen Kommunikationsgesellschaft eine Rolle spielen.

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