1.Juni 1997





TRANSMEDIA '97 cd-rom - keep on clicking

Ulrich Gutmair


[text als audiofile]


'Interaktivität' ist ein beliebtes Schlagwort, seit es Computer gibt. Multimedia wird dem User und der Userin völlig neue Möglichkeiten geben, mit medialen Produkten zu interagieren, heißt es. Daß die Oberflächen von Computersoftware oder dem Internet im Prinzip genauso interaktiv sind wie ein Bügelbrett oder ein Radioprogramm, wird dabei oft vergessen. Das Design jedes Produktes verlangt nun mal eine bestimmte Nutzung, und schließt viele andere Möglichkeiten der Interaktion aus. In den letzten Jahren haben sich einige künstlerische Arbeiten auf dem Gebiet Multimedia mit diesen Merkmalen von Interaktivität auseinandergesetzt und als Modus Operandi möglichst benutzerfeindliche Schnittstellen hergestellt. Zu dieser Kategorie von Anwendungen gehört 'User Unfriendly Interface', eine CD-ROM der australischen Künstler Leon Cmielewski und Josephine Starrs.

'User Unfriendly Interface' stellt Fragen, die jedes mediale Produkt mit sich führt, ohne daß das immer offensichtlich würde: 'Do you always do as you are told? YES or NO?'-- 'Machen Sie immer das, was man Ihnen sagt? Ja oder Nein?' Natürlich macht es keinen Unterschied, womit man die Frage beantwortet. Auch mit dem nächsten Klick landet man nur da, wo man früher oder später sowieso hingekommen wäre. 'User Unfriendly Interface' geht seinen Gang, ohne auf die Reaktionen des Nutzers Rücksicht zu nehmen und ist dabei ziemlich unübersichtlich. Man muß schon eine Weile zwischen den verschiedenen Ebenen herumspringen, um festzustellen, daß diese Anwendung sich permanent im Kreis dreht und am Ende nirgendwo hinführen wird.

Die einzelnen Abteilungen beweisen aber einigen Humor und beschäftigen sich mit Geschlechterkonstruktionen ebenso wie mit den Verschwörungstheorien, die eine total mediatisierte Gesellschaft anscheinend zwangsläufig hervorbringen muß. Auf kleinen Schaubildern, die aussehen, als seien sie mit dem Filzstift gemalt worden, finden sich Verbindungen zwischen Rupert Murdoch und der Queen, der CIA und dem Vatikan und allen zusammen mit internationalen Drogenkartellen. Irgendwo in diesem Netz, in dem alles und jeder etwas miteinander zu tun hat, lauert Big Daddy Mainframe. Big Daddy Mainframe ist der Codename für die patriarchalische Macht, die auch den Cyberspace kontrolliert. Big Daddy Mainframe als Bild für die in Technologie gefrorenen Machtverhältnisse wurde von den australischen Cyberfeministinnen VNS Matrix erfunden, einer Gruppe, der auch User Unfriendly Interface-Autorin Josephine Starrs angehört. VNS Matrix ging es in ihrem Anfang der 90er Jahre veröffentlichten Cyberfeministischen Manifest um Technologie und ihre ideologischen Funktionen. Schon damals bewiesen sie Humor, indem sie die männlich codierten Versatzstücke des Modells Vorsprung durch Technik parodierten und behaupteten, die weibliche Clitoris sei direkt mit der Matrix des Cyberspace verbunden.

'User Unfriendly Interface' macht sich in diesem Sinn zum Beispiel über den Turingtest lustig, eines der Lieblingsspielzeuge von Wissenschaftlern und Medientheoretikern. Der Turing-Test ist eine Anordnung, in der drei Testteilnehmer miteinander verbunden sind. Zwei der Teilnehmer müssen Fragen aller Art beantworten. Die Aufgabe des dritten ist es, herauszufinden, welcher seiner Partner Mensch und welcher ein intelligentes Programm ist. Der Turing-Test ist das seriös-wissenschaftliche Pendant zur Frage: Ist der Computer jetzt menschlich geworden, weil er Kasparow im Schach geschlagen hat? In der Testversion des User Unfriendly Interface werden dem Benutzer Fragen aus dem Alltag präsentiert, wie zum Beispiel: Sie haben es sich gerade vor dem Fernseher gemütlich gemacht, da setzt sich eine Wespe auf Ihre Nase. Was tun Sie? Nachdem einiger solcher Fragen beantwortet wurden, fällt das Testergebnis dann wie erwartet aus: Ich zumindest bin kein Replikant. Herzlichen Glückwunsch.

In der Sektion 'Posthumanismus' kann man sich ein Cyber Survival Kit zusammenstellen, so wie man seiner Barbie das passende Abendkleid aussucht. Als Menüebene fungiert ein Schädelvermessungsset, dessen einzelne Schrauben zu weiteren Ebenen führen. In der Abteilung 'Virtueller Realismus' wechseln sich dagegen verschiedene Welten ab in denen man, von kleinen Klangschnipseln begleitet, eine Weile herumlungern kann. Neben der Japan, der Passion und der Atomic World steht auch eine Hetero Welt zur interaktiven Wahl. An anderer Stelle wabern die alten großen weißen Männer der abendländischen Philosophie vor sich hin. Sie sind nicht anklickbar, und das ist irgendwie beruhigend. Das Fazit der fröhlichen Dekonstruktion überlößt das User Unfriendly Interface schließlich dem Golfkriegsgeneral Schwartzkopff: Ohne Computer hätten wir es nicht geschafft.

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- 1.Juni 1997 -


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