6.Juli 1997





Tobias Rehberger: Das Ziel ist nicht der Weg

Martin Conrads


[text als audiofile]


Daft Punk, Michael Jacksons "Scream"-Video von 95, oder (jetzt wieder neu:) Mondbasis Alpha 1 - manchmal gibt es optische Momente, da verschmelzen Retroavantgarde und Zukunftskitsch zu einer blendenden Einheit. Tobias Rehberger ist jemand, der an der Konstruktion exakt solcher Momente arbeitet, und dies bisweilen so präzise, daß man vermuten könnte, er kenne alle "Schöner Wohnen"- Bände von 1967 bis 73 in- und auswendig.

Neuer Anlaß zu dieser Vermutung: Rehberger gab nun einen Auftrag der Galeristen Tim Neuger und Burkhard Riemschneider an die Auftraggeber zurück. Danach gefragt, in den aktuellen Ausgaben von "frieze" und "Artforum" zwei Anzeigen für die Galerie zu gestalten, münzte Rehberger im Gegenzug und nach erfülltem Auftrag die Arbeit zur Flaschenpost um: Plötzlich galt es für Neuger und Riemschneider, die Anzeige als Blaupause für eine von ihnen selbst zu entwerfende Rehberger-Ausstellung in den eigenen Räumen zu verwerten:

Tobias Rehberger:
"Tim und Burkhard haben mich gebeten, eine ganzseitige Anzeige für "frieze" und "artforum" zu machen, die ich dann entworfen habe. Für die erste Arbeit auf der Basler Messe habe ich die tatsächliche Anzeige einer Strickerin gegeben und ihr gesagt, sie soll diese Anzeige als Pullunder anfertigen, - ohne weitere Angaben, außer, daß Tim und Burkhard gesagt haben, daß sie die Pullunder auf der Messe tragen wollen. Wie das ganz genau aussehen soll, oder ob die Namen eingestrickt werden sollen oder ähnliches, habe ich nicht gesagt - vergleichbar damit, wenn man eine Konstruktionszeichnung einem Schreiner gibt und sagt: mach mir das, was auf dieser Zeichnung zu sehen ist. Im Prinzip genau gleich habe ich das bei "brancusi" gemacht, indem ich einfach den Auftrag zurückgegeben habe und zu Tim und Burkhard sagte: Macht mir diese Ausstellung! Was genau passiert, wußte ich nicht."

Ungeahnte Schwierigkeiten stellten sich anfangs bei der Ausführung des Planes ein: Der erste Anstreicher, den man engagierte, drehte auf der Schwelle um, als er hörte, der Raum solle komplett schwarz gestrichen werden. Ein böses Omen? Angst vor den 80ern? Bekannt ist nur, daß Neuger und Riemschneider nicht davon abzuhalten waren, den gesamten Galerieraum 1:1 mit den Anzeigen abzugleichen, wobei eine kühlende und wohnliche Wand- und Bodensitutation entstanden ist, wie man sie auf Papier besser nicht hätte entwerfen können. Zwischen Ornament und sachlicher Form tummeln sich nun Rundhockermöbel und Wandlampen in dezenten Beige- und Brauntönen - alles auf schwarzem Hintergrund, und alles als zu Raum gewordener Kassiber aus besagten Annoncen.

Auch die in den Anzeigen mitaufgeführten Künstler der Galerie nahm man ins Konzept auf, von jedem hängt nun eine Arbeit im Raum - dies nicht zuletzt als Verweis auf eine Austellung, die Rehberger vor zwei Jahren an gleichem Ort gezeigt hatte: Damals fertigte er Vasen an, die in Form und Farbe ein Äquivalent zum ästhetischen Ausdruck seiner nicht eingeweihten Künstlerkollegen darstellen sollten. Die Blumen, die diese zur Eröffnung mitbrachten, korrespondierten erstaunlich gut mit Rehbergers Vorstellung: Wolfgang Tillmans¹ rosa Rosen zu einer bauchigen Braunen, Michel Majerus¹ Blütenzweig zu einem lakritzartigen Fimoklumpen, Jorge Pardos Orchidee zu einem gelb/roten Edelzylinder.

Rehberger denkt seine Environments von der Kunst aus, nicht vom Design: nicht als Möbel sieht er seine Objekte, sondern als Skulptur, wobei sich die Frage nach der Funktionalität für ihn dann noch lange nicht erledigt hat, wenn man einen Hocker ins Museum stellt:

"Man kann ja zum Beispiel auf einem 1x1x1 m großen Serra-Eisenwürfel auch sitzen. Die Grenzen sind da ja absolut fließend. Was heißt "Funktionalität"? Ein Bild an der Wand ist unter bestimmten Bedingungen genauso funktional zwecks Repräsentation. Ich glaube, daß es überhaupt nichts gibt, das nicht unter bestimmten Umständen funktional gesehen werden kann. Kunst hat als gesellschaftliches Phänomen hat auch ihre Funktion. Deswegen kann ich da nicht wirklich trennen. Zum Beispiel bei der Vasenarbeit: Eine Vase würde man zuerst einmal als Gebrauchsgegenstand sehen, aber im Endeffekt ist es eigentlich eine hochästhetische Formulierung, denn man tut ja nichts anderes, als schöne Blumen hineinzustellen oder sie auf eine Fensterbank zu stellen. Von beiden Seiten wird das gleiche Spiel gespielt - ob das jetzt im "Alltagsleben" oder im Kunstleben ist. Ich glaube nicht, daß man das belegbar trennen kann."

Für eine Ausstellung im Frankfurter Portikus erstellte der Städel-Absolvent und Kippenberger-Schüler Rehberger einen Besucher-Fragebogen zur Verbesserung des Kunstcontainers - und trug nach dessen Auswertung mit kordelbeklebtem Sitzmobiliar, Literatur auf dem WC und Fahrradständer vor dem Eingang, zumindest auf Zeit, zur Verhübschung des kargen Raumes bei. Vorschläge, etwa den Portikus in die Luft zu sprengen strich er dabei vorsichtshalber aus der Liste:

"Es war von Leuten, die in den 2 Ausstellungen vor meiner Ausstellung in den Portikus kamen. Dort lag ein Fragebogen aus, wobei nicht gesagt wurde, daß es ein Projekt von mir ist, sondern es hat sich eher so angehört, als ob der Portikus tatsächlich irgendwelche Umbaumaßnahmen vorhätte und dabei die Leute fragen würde, was man an der Infrastruktur verbessern könnte."

Eine andere Idee Rehbergers, Freunde nach dem idealen Interieur eine Raumes zu fragen, in dem sie "komplett abschalten können" wurde allerdings schon, im letztes Jahr bei der Ausstellung "nach Weimar", durch das Einschalten des zur Installation gehörenden Fernsehers subvertiert: Vom gemeinsamen Beiwohnen des EM-Viertelfinales England-Spanien angeregt, ließen sich die Eröffnungsgäste nicht lumpen, den sozialen Aspekt seiner Arbeit über Gebühr zu vertiefen.

"Mir geht es weniger um den sozialen Aspekt, darum, daß ich mit jemandem dasitze und gemütlich eine Skulptur bespreche. Mich interessiert aber die Aufteilung oder Anteilnahme verschiedener Leute - inwieweit sie sich auf Ästhetiken oder Inhalte auswirken. Im Prinzip ähnlich, wenn man einem Schreiner eine Zeichnung gibt: Je nachdem, wie genau die Zeichnung ist, gibt es dabei immer Spielräume, Dinge, die nicht kontrollierbar sind, bei denen - überspitzt gesagt- das Genie nicht richtig hinhaut. Das sind Bereiche, die mich interessieren - das auszuloten, auszuspielen und verschiedene Formen von Umgang herauszufinden, wie so etwas entsteht. Wenn ich morgens die Straße hinuntergehe, und mir kommt eine knallgelbe Straßenbahn entgegen, und ich habe dann die Idee, etwas zu machen, was mit diesem Gelb zu tun hat, dann hatte der Typ, der die Straßenbahn entworfen hat auch etwas mit dem zu tun, was ich dann mache."

Zufall und Verkehr, Kommunikation und Kulturtransfer sind so immer wieder durchgehende Motive Rehbergers: Während eines Aufenthaltes in Kamerun bat er dort heimische Schreiner, Möbel der Moderne nach Vorlagen zu bauen, die er ihnen aus dem Kopf zeichnerisch vorprotokollierte. In Erinnerung blieb auch Rehbergers Arbeit zur letztjährigen Gruppenausstellung "fast nichts" im schwäbischen Singen, in der die Aufsichtsdame einen Pullover für einen Freund des Künstlers stricken mußte.Wenn die oben erwähnten Anzeigen zu "brancusi" mittlerweile "in Pulli" vorliegen, so werden sie von Tim und Burkhard leider doch zu selten getragen. Es liegt wohl noch am Sommer.

Rehberger, 1966 in Esslingen geboren, will nicht glanzvoll in die Pop- und Retroecke gestellt werden. Das zu glauben, fällt bisweilen schwer. Eine Raumsituation, wie sie Rehberger mit "Fragments of their pleasant spaces" in Weimar, und zuvor bei Bärbel Grässlin, gezeigt hatte, paþt allzu gut ins Ambient-ClichÈ: 70er geformte Fernseher, Lautsprecherboxen und Lampen samt dazugehörigem Sitz- und Relaxmobiliar schienen Klub- und Kunstvereingeschehnisse der letzten Jahre im Kitschtraum hyperventilieren zu lassen

"Ja, das taucht immer wieder auf. Aber wenn Du viel Arbeiten von mir kennst, sieht man, daß es Arbeiten gibt, die sich in gar keine Zeit einordnen lassen; dann gibt es Arbeiten -speziell die Ausstellung bei Bärbel Grässlin- die genau dies zum Thema hatte: Wenn ich einer Skulptur ein Aussehen gebe, das sehr modisch ist, was passiert dann damit in 10 Jahren? Ist es dann eine Skulptur, die man überhaupt nicht mehr anschauen kann, weil sie eine Mode, eine Ästhetik mit sich trägt, die in 10 Jahren komplett out ist...? Aber ich glaube, es ist ein Mißverständnis, daß meine Arbeit extrem darauf zielt. Denn es gibt viele Arbeiten, die eher nach den 50ern Jahren aussehen oder Arbeiten, die sehr technisch aussehen. Die Vasenarbeit ist eigentlich ein gutes Beispiel: Da kommt als Stil alles mögliche vor: von "handgeschnitzt" bis "minimalistisch", bis "Rokoko" fast. Es ist also ein Mißverständnis, auf das ich festgenagelt werde, weil manche Arbeiten populärer sind, oder öfter publiziert sind. Ein Photo aus der Grässlin-Ausstellung sieht einfach bunt und knallig und kräftig aus, und dies wird eben gerne genommen, um meine Arbeiten abzubilden. Aber daß ich ausschließlich in einer Popästhetik arbeite, oder in einer 60er oder 70er Jahre-Ästhetik, sehe ich überhaupt nicht so - nur unter anderem!"

Dennoch nennt er die aktuelle Ausstellung mit dem gleichen Verständnis "brancusi", wie man Platten "Steve McQueen" genannt hat. Wenn according to Rehberger bestimmte Ästhetiken in einer absehbaren Zeitspanne quasi-automatisch kulturell reflektiert werden, dann will sein Interesse darin liegen, wie seine eigenen Arbeiten im nächsten Durchlauf rezipiert werden.

Kunst als Zeitmaschine? Daß seine Objekte ausschließlich "soft", "rund", "ergonomisch", "organisch" und "testbildfarben" waren, wird man spätestens dann verwerfen müssen, wenn man in 15 bis 25 Jahren den "eckigen" Rehberger entdecken wird

"Ja, und den runden vergessen..."

Bis dann also. Die 10er werden die 90er sein. Und verkauft bloß nicht Eure Aphex Twin-CDs!

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- 6. Juli 1997 -


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