3.August 1997





ANACONDA

Dana Sohrmann


[text als audiofile]


Westrigde:
Unser Abenteuer beginnt 1000 Meilen entfernt von der Mündung des mächtigen Amazonas. Wir werden mit einer Flußbarke stromaufwärts durch seichte Nebenflüsse fahren auf der Such nach dem scheuen Shiushama- Volkes, eines der letzten großen Mysterien des Regenwaldes."

Wer sich ein bischen im breiten Spektrum des Horrorgenres auskennt, weiß bereits an dieser Stelle, daß die beschriebene Idylle sich höchstwahrscheinlich als Höllentrip entpuppen wird, bei dem 90 Prozent aller Beteiligten drauf gehen werden. Und genau das passiert. Dramaturgisch nicht ungeschickt, wenn auch nicht gerade neu, wird die eigentliche Gefahr dabei sukzessiv aufgebaut - denn: der Dschungel birgt Risiken in großer Zahl. Erst nach dem ersten Drittel des Films bekommt der Zuschauer das sagenhafte Ungetüm zu Gesicht - die Anaconda aus der Spezies der Riesenschlangen.

Serown:
Shiushamas verehren Riesenschlangen, Anacondas, als Götter, als Beschützer. Es gibt eine Legende von der Reise zu dem heiligen See. Zuerst muß man einen Wasserfall passieren, bewacht von mächtigen Riesenschlangen. Wenn man an diesen Wächtern vorbei ist, reist man durch das heilige Land der Shuishamas bis man auf eine Felswand stößt, die so hoch ist, daß sie die Sonne verfinstert.
Käpt`n:
Wenn man dieser Wand 5 Tage lang folgt, erreicht man schließlich ihr Ende - den Kopf einer riesigen Anaconda

Die Riesenschlange als neu rezipierter Archetypus. Von alters her ambivalent gezeichnet, als Gift-aber auch Heilschlange, tritt sie im Film "Anaconda" eher als Bedrohung denn als Erlösungs- und Wandlungssymbol in Aktion. Schon ihre Gestalt , aber auch ihre Ernährungsgewohnheiten prädestinieren sie dazu, alte Wiedergeburtsmythen zu verkörpern: Verschlungen und wieder ausgespien werden. Man fühlt sich dabei zum Beispiel an die Seeungeheuer Scylla und Charybdis aus Homers "Odyssee" erinnert.

Bereits in der Wahl dieses Kriechtiers reiht sich der Film daher in einen Remythisierungstrend im Film der 90er ein, der Monsterfilme im Stile von "Jurassic Park" oder "Congo" auf die Leinwand schickte. Dafür spricht zudem, daß die Bedrohung nicht mehr, wie besonders in den 70er Jahren im Horrorgenre, vor der eigenen Haustür oder gar in den eigenen vier Wänden wartete, wie zum Beispiel in "Cujo", sondern weit weg in die unerforschten Gebiete des südamerikanischen Regenwaldes plaziert wurde.

Serown:
Ein warmer Körper wie der von Mateo war nicht schwer zu finden. Sie greifen dich an, wickeln sich um dich, halten dich fester als deine große Liebe und dann genießt du das Privileg zu hören, wie deine Knochen brechen und die Venen platzen...

Diese eindringliche Beschreibung illustriert, was dem Zuschauer bereits visuell verköstigt wurde. Die Anaconda mit ihrer tödlichen Umarmung reiht sich in die Saga der Monstren ein, die in Umkehrung der Evolution zum Feind der angeblich höchstentwickelten Spezies, der Menschheit werden. Anders, als in den zahlreichen B-pictures der sogenannten "Revolt of the nature" Filme, wie "Tarantula" oder "The Swarm", in denen Umweltverschmutzung oder radioaktive Verseuchung zu aggressiven Mutationen bei Insekten oder anderen sonst harmlosen Spezies führen, plaziert sich "Anaconda" eher in der Fraktion der beängstigenden Abgründe der Natur, denn um Riesenschlangen bedrohlich zu finden, bedarf es kaum einer extra Nukleardosis.

Denise:
Hörst du das? Diese Stille... O Gott, lauf Gerry, lauf...
Geschrei...Schuß

Deutlich ist damit die Parallele zum Monstertypus a la "Der weiße Hai". Wie dieser kommt die Riesenschlange aus dem Urelement des Lebens, dem Wasser und verweist damit sowohl auf Fruchtbarkeit als auch in der Doppelkonnotation alles Mütterlichen auf den Gegenpol Tod. Wie der Monster-Hai macht die Anaconda keinen Unterschied zwischen gut und böse. Gefressen wird, wer gewaltsam und unerlaubt in die heiligen Gefilde hereinbricht.

Serown:
Stellen sie sich vor etwas derart Großes lebend zu fangen, das ist ne Menge Geld wert.

Es lebe die Marktwirtschaft. Da fällt der Einwurf, daß das ökologische System aus dem Gleichgewicht geraten könnte, ungehört unter den Tisch. Doch eines der Prinzipien im Monsterfilm besteht darin, daß der, welcher aus Eigennutz Naturgesetze bricht, dafür bestraft werden wird - und das zumeist recht unappetitlich. Die Frage nach der Evolution und wer denn das wirkliche Monster ist, bleibt damit impliziert.

Serown:
Niemand bewegt sich - Sound, Geschrei

"Anaconda" ist ein typischer Hi-Tech-Monsterfilm, der eigens für die effekthaschenden Szenen der Konfrontation mit der Riesenschlange konzipiert worden scheint, wofür zum Beispiel eine überzeugende Figurenentwicklung aufgeopfert wird. Aber selbst einige dieser qpecial effekts lassen ihre Computerherkunft allzu sehr durchscheinen. Vielleicht hätte die polierte Oberfläche des Films besser durch ein wenig Trash aufgelockert werden sollen. Inhaltlich jedenfalls läßt sich kaum etwas Innovatives ausmachen und es drängt sich die Vermutung auf, daß "Anaconda" letztlich nur günstiges Fahrwasser vor der neuen Dinosaurierflut gesucht hat.

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- 3.August 1997 -


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