3.August 1997





Robots und Simulations

Micz Flor


[text als audiofile]


"mine does it all the time"

Auf die Überlegung, daß ein Computer nie etwas unerwartetes produzieren könne, da die Programme von Menschenhand geschrieben und somit per se verständlich, vorhersehbar und nachvollziehbar seien antwortete der vielzitierte Computergeek der ersten Generation Alan Turing: "Mein Computer erstaunt mich täglich und produziert fortwährend Dinge, die ich nicht vorhergesehen habe."
Turings Einwand war und ist aufschlußreich. Zum einen wendet er sich gegen die Annahme, daß das 'Unerwartete', 'Unvorhersehbare' generell als intelligent zu werten ist, zum anderen unterstreicht er die Tatsache, daß es solche und solche Programme gibt; Programme, die ausschließlich dafür entwickelt wurden, einen spezifischen Output zu produzieren werden in der Tat einer nachvollziehbaren Syntax folgen, nur eben effizienter - und deshalb hat man sie entwickelt. Die Pointe steckt im Detail des 'Unerwarteten': der Fehler im Programm ist vielleicht die Möglichkeit neues zu generieren. 'Artificial Life' und 'Artificial Intelligence'. Der Unterschied ist die Trennschärfe in der Tiefenschärfe, bringen wir das Objektiv nahe genug an das Objekt.

"we set gravity to 1.2. That gave us a conservative estimation"

Artificial Life hat zwei Ziele. Zum einen versucht die Forschung Leben mit künstlichen Mitteln zu simulieren. Bots und Sims werden entwickelt, die Verhalten lebender Organismen so exakt als möglich zu kopieren oder nachzustellen suchen. Beobachtet und ausgewertet wird das sichtbare Verhalten. 'Black Box is beautiful'. Wenn ich es schaffe einen Roboter zu erschaffen, der sich verhält wie eine Ameise, dann muß die Ameise so funktionieren wie der Roboter. Wenn ich es schaffe eine Gruppe von Objekten im Computer zu simulieren, die sich verhalten wie ein Fischschwarm, dann funktioniert ein Fischschwarm so wie meine Simulation. Abgesehen von der Frage inwieweit diese kausale Rückkopplungsschleife als wissenschaftliches (ergo: logisches) Argument zulässig ist soll hier nicht weiter verfolgt werden. Viel interessanter in Anlehnung an die oben gestellte Frage nach dem Unerwarteten in der künstlichen Intelligenz ist das zweite Ziel der Artificial Life Forschung:
Habe ich Leben künstlich konstruiert, dann kann ich diese kleinen Techno Animals voneinander lernen lassen. Oder ich kann Generationen simulierter Yps Tierchen in sich verändernden Ökosystemen unterbringen und beobachten, was Evolution mit meinem Code macht. Und da scheint der Stand der Forschung oben angeführten Einwand gegen die Entwicklung künstlicher Intelligenz überwunden zu haben. Was zuerst als funktionstüchtiges Programm entwickelt wurde entwickelt nun Variationen des Ausgangsmaterials und die daraus resultierenden Werte versucht der Artificial Life Wissenschaftler wie ein evolutionärer Verhaltensbiologe zu interpretieren. Das Unvorhergesehene ist der Wissenszuwachs in der Artificial Life Forschung.
Ganz einwandfrei ist diese Argumentation nicht, da einerseits versucht wird Leben zu imitieren, also das Identische als Beweis der Genauigkeit der Simulation, zum anderen wird die Abweichung in den Daten der Simulation als Grundlage zur Hypothesenbildung über Leben in der realen Welt benutzt. Doch dann passiert das Unerwartete und läßt sich auf dem Schirm verfolgen. Organisch gewachsene Brückenkonstruktionen, Absurde Ketten Polygoner Quader, die sich selbst im virtuellen Raum Schwimmen beibringen und kleine Schwärme von Grillen, die einander anzirpen und Kommunen bilden und eigene Codes.

"you have to know your bots"

In Anlehnung an Biologie und Psychologie beschäftigt sich die Artificial Life Forschung mit zwei Problematiken: Learning und Evolving. Ersteres beschreibt die Veränderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb der Lebenszeit eines Individuum einer Art, letzteres die graduelle Veränderung einer Art über Generationen hinweg. Ersteres ist Psychologie und Lernen, letzteres Biologie und Evolution.
Die Unterschiede in der Programmierung sind nicht so eindeutig und lassen sich zurückführen auf die Frage: was ist der Genotyp und was ist der Phänotyp meiner Simulation? Und wie kann man diese sinnvoll unterscheiden, bzw. ineinander überführen? In anderen Worten: was ist eine Generation im Leben eines Robot? In der Praxis durchlaufen Sims und Bots rekursiv Programme, deren neuronale Netzwerke je nach Erfolg oder Mißerfolg ihre Parameter verändern. Nennen sie es Lerndurchgänge oder Generationen, Nennen sie es Lernen oder Evolution. Und dann gibt es noch die Möglichkeit nicht Lebewesen sondern Bots im Computer zu simulieren. Dies wird praktiziert, um maschinelle Probleme zu überwinden, sprich: Zeit und Verschleiß. Versuchen wir nun den Bot und seine Welt in die Simulation zu überführen, verlassen wir schlagartig den Fachhochschulabschluß der Maschinenkonstruktion und begeben uns in Kapitel zwei der geisteswissenschaftlichen Doktorarbeit: die Frage nach dem Ding an sich versus der Pragmatik in der Wahrnehmung der Umwelt. Würde Platon Luftwiderstand und Gummidichtungen als Eigenschaft der Welt in seine Simulation übernehmen?
Für den guten Simulanten gilt: "you have to know your bots"

"stupid bots are cheap but can develop swarm intelligence"

Betrachten wir Evolution und Robots dann müssen wir uns fragen: nach was strebt die Maschine? Essen, Fortpflanzung, Neugierde. Hier kommt die Maze-Mouse. Aber die Maschine? Die Simulation?
Der Bot muß so programmiert werden, daß er nach Futter sucht. Und Fortpflanzung? Das kann die Hardware nicht und warme, feuchte Software produziert sich auf der Drehscheibe. So lassen sich Schwärme von kleinen künstlichen Lebewesen simulieren, die sich begatten und gegenseitig Sprechen beibringen. Das sind Simulationen, die hoffentlich unser Verständnis von Evolution und Lernen in Gruppen verbessern - und nebenbei unser Verständnis von Computern, Programmierung und Hochschulabsolventen.
Ein Schritt zurück: Was will die Maschine? Was ist die Maschine?
Ein Beispiel für eine schlechte Simulation wird angeführt: Der Forscher vergaß die Materialität der simulierten Bots mit in den Computer einzuspeisen. Es dauerte Generationen und Generationen, bis die simulierten Bots lernten nicht auf dem gleichen Punkt der Matrix zu stehen. In der Realität wäre das nicht passiert, da wären die Bots voneinander abgeprallt. Das hat die Maschine: Materialität.
Viele kleine dumme Bots sind billiger herzustellen. Wenn viele, dumme Bots miteinander kommunizieren entwickeln sie 'swarm intelligence'. Und dann können sie einem größeren Plan folgen, einem Sinn, der ihrer Existenz von Außen gegeben wird. Dann kommt Nanotechnologie zum Zug, dann kommt Gibsons Architekturvison in 'Virtual Light' zum Tragen: Millionen kleiner Bots klettern aufeinander und werden das Gebäudes, sind die Wand und der Boden, je nachdem wo sie steckenbleiben. Aus dem Ameisenstaat wird der Ameisenhügel. So findet der Bot den Sinn in seiner Existenz: in der eigenen materiellen Realität und das ist sein Platz und seine Bestimmung. Was bleibt: der Bot ist, was er ist.

"my tactile feedback is switched off."

An der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine kommt es zu peinlichen Situationen. Der australische High Tech Künslter Stelarc weiß wie es sich anfühlt, wenn Robot Prothesen selbstständig handeln. Während er versucht einer Studentin Elektroden am Arm anzubringen fühlt er, wie diese zunehmend unruhig wird. Er blickt nach oben und folgt ihrem Blick auf seinen Prothesenarm, der gerade damit beschäftigt ist eine 360 Grad Handgelenkdrehung an ihrer rechten Brust vorzunehmen. Er errötet und weiß als Entschuldigung nur noch mitzuteilen, daß er sein Tastsensor Feedback nicht eingeschaltet hat.

www-seiten des symposiums:
http://www.cogs.susx.ac.uk/ecal97/present.html

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