3.August 1997





Die offizielle documenta 1-9 CD-ROM

Stefan E. Schreck


[text als audiofile]


Man würde ja so gerne eine CD-ROM mal gut finden wollen. Nicht das Scheitern der Multimedia Autorenschaft verhindert dies, allein, die silberne Scheibe will sich einfach nicht rund drehen. An allen Ecken und Enden ruckelt und zuckelt es - und das liegt nicht unbedingt an der mangelnden Prozessorleistung. Die Daten sperren sich gegen ihre leichte Zugänglichkeit. Werden sie multimedial dargeboten, sind sie trotz Hypertextstruktur und neusten Autorensystemen merkwürdig linear und unsinnlich. Was also nützt eine CD-ROM über 40 Jahre Ausstellungsgeschichte der documenta von Anbeginn ihrer ersten Ausstellung im Jahre 1955?
So hybrid die CD, einerseits englisch andererseits deutsch, einerseits Mac- andererseits Windowskompatible, so gemischt ist auch die Erfahrung mit IHR.
Der Versuch, Zitat Beipackzettel: "die wichtigste Ausstellungsreihe zur Gegenwartskunst in einer breitenwirksamen Gesamtübersicht aufzuarbeiten" muß scheitern, zumindest was die Erfahrbarkeit ihrer Inhalte angeht. documenta 1-9, das heißt mindestens 40 Jahre Kunstgeschichte und -entwicklung, die sich mit 650 MB nicht darstellen läßt.

Einführung zur CD-ROM:
Die Geschichte der documenta ist die Erfolgsgeschichte einer Idee. Als 1955 die Bundesgartenschau die Aufmerksamkeit einer überregionalen Öffentlichkeit auf die Stadt lenkt, bietet sich dem Kasseler Kunstprofessor und Gestalter Arnold Bode die Gelegenheit zur Verwirklichung einer Vision. Im erst provisorisch wieder aufgebauten Museum Fridericianmu macht er die Grundzüge der europäischen Kunstentwicklung im 20 Jhr. in einer gross angelegten Überblickausstellung sichtbar.

Das City Information System - kurz CIS - aus Würzburg hat in Zusammenarbeit mit dem documenta-archiv und der Stadt Kassel an diesem Projekt gearbeitet. Reichlich dokumentiertes Material ist also vorhanden. Auch wenn eine documenta 2 noch nicht mit dem Medienaufwand weiter verarbeitet worden ist, wie z.B Jan Hoets documenta 9. Worin die einzelnen Ausstellungen ihren Schwerpunkt gesetzt haben, faßt die Guided Tour des jeweiligen Jahres auf der CD zusammen.

Guided Tor documenta 1-9:

...Ihre Idee entspringt dem Bedürfnis einer deutschen geistigen Situation, so beschreiben die Organisatoren der 1. documenta die politischen und kulturellen Voraussetzungen ihrer Ausstellung von 1955. ...

...Die Kunst ist abstrakt geworden. Dieses umstrittene Urteil Werner Haftmanns über die internationale Situation der Nachkriegskunst bestimmt das Erscheinungsbild der 2. documenta. ...

...Kunst ist das, was berühmte Künstler machen. Unter dieser Leitidee steht 1964 die documenta 3. ...

...Die jüngste documenta, die es je gab. Ganz im Trend der Zeit liegt der Slogan des 4. Kassler Ausstellungereignisses 1968. ...

...Befragung der Realität - Bildwelten heute. Mit diesem Thema präsentiert sich 1972 die 5. documenta. ...

...Stellenwert und Standort der Kunst in einer Mediengesellschaft. Mit dieser Formel umreisst Manfred Schneckenburger als künstlerischer Leiter das Thema seiner documenta 6. ...

...Die Kunst von den unterschiedlichen Zwängen und Verdrehungen zu befreien, in die sie verstrickt ist. Diese Aufgabe stellt sich 1982 der Eindhovener Museumsdirektor Rudi Fuchs als künstlerischer Leiter der documenta 7. ...

...Die Kunst gewinnt eine neue historische und soziale Dimension. Unter dieser zentralen These soll 1987 die documenta 8 belegen, das sich die Künstler erneut gesellschaftlichen Themen zuwenden. ...

...Vom Körper zum Körper zu den Körpern. In dieser Formel umschreibt der Belgier Jan Hoet den Erlebnischarakter derjenigen Kunst die seine documenta 9 dokumentieren soll. ...

Erschlossen werden die einzelnen Ausstellungen auf verschiedenen Wegen: Entweder über die Stadtpläne mit den unterschiedlichen Gebäuden, wie des Fridericianums, der Orangerie und der documenta-Halle, über die Ausstellungsplakate oder über die sogenannten "Guided Tours". In einer Datenbank befinden sich außerdem alle ca. 2000 Künstler - samt Kurzbiografie und Werkauswahl - die jemals auf einer documenta vertreten waren; zugleich der einzige Teil der CD-ROM, der auf Vollständigkeit bedacht ist. Alles andere ist bruchstückhaft. Hier ein bißchen QuickTime Video, da ein kleiner Soundschnipsel, alte Pressestimmen zur Ausstellung und die Konzepte der künstlerischen Leiter als Rohkost:

Ausstellungsmacher Arnold Bode d1 (d2 d4):
Wir haben hier soeben in der alten Galerie die Bilder der modernen großen Meister gesehen und gehängt im alten Sinne d.h. im Sinne der alten Museen der Inszenierung wie wir es gewöhnt sind. ...

Werner Haftmann d2 (d3):
Die Ausstellung, die wir hier aufgebaut haben ist das erste mal und die größte Unternehmung die für die Handzeichnung überhaupt je unternommen worden ist. ...

Harald Szeemann d5:
Das Konzept sieht weiterhin vier Abteilungen vor: Thematische Ausstellung, Besucherschule, Experimenta, also Theater und Film. ...

Rudi Fuchs d7:
Die Ausstellung ist der Versuch, um aus der Vielfalt der Kunst eine neue Inszenierung zu machen, damit wir neue Erfahrungen, neue Idee neue Überraschungen von der Kunst kriegen. ...

Manfred Schneckenburger (d6 und) d8:
Gerade diese documenta braucht weniger Erläuterung bedarf, weil der Kunstbegriff: es werden Bilder gemalt, es werden Skulpturen gezeigt es wird nicht in Konzepte aufgelöst weil der Kunstbegriff wieder leichter Zugänglich ist. Das sehr viel narratives, sehr viel Diskurs in diesen Bildern ist das ist die Situation der späten 80er Jahre. ...

Jan Hoet d9:
Wenn man in den Ameisengang und dann in diesen Raum von Bruce Nauman kommt, so ein starker, substantieller Gebrauch von Media und dann in die Ruhe von der Marisa Merz, man spürt alles physisch. ...

Präsentiert wird, was sich nicht verweigert. Daß Joseph Beuys in dem längsten Videoschnipsel auf der CD-ROM seine Plastik auf der documenta 3 erklären darf, verwundert nicht weiter. Die meisten anderen Kunstwerke, egal ob Video, Klang oder Performance, werden nur in Bild und Text vorgeführt. Mit ein paar Ausnahmen. Konrad Klapheck zu seinem Bild "Die Sexbombe und ihr Begleiter" von 1963:

Konrad Klapheck:
Ich male gerne Gegenstände der häuslichen Gebrauchstechnik: Schreibmaschinen, Nähmaschinen und die Armaturen des Badezimmers. Dieses Bild stellt eine Wasserhahn dar und eine große Dusche. Ich habe dieses Thema ganz einfach deshalb gewählt, weil mir der kalte Glanz der metallischen Gegenstände gefällt. Und trotzdem ist etwas ganz anderes daraus geworden als nur eine Dusche. Der Titel des Bildes lautet "Die Sexbombe und ihr Begleiter". Diese große Form stellt für mich eine schöne üppige Frau dar, einen Filmstar wenn man so will und diese Dusche ist für mich ihr finanzkräftiger untersetzter Begleiter im Anzug. So ist unversehens aus dem technischen Gegenstand etwas menschliches geworden.

Nicht alle ausgewählten Erklärungen sind so bedienerfreundlich wie die von Klapheck. Auch Mario Merz darf erklären, warum er 1982 sein Iglo über die kleine Fulda gebaut hat:

Mario Merz:
This is a metaphysical problem of the water. I like the water. In general I like the water because it is long, it is very long. And it is nice to see.

Die Oberfläche des Macromedia Director Produkts kommt eher bieder daher. Ein Kunstprodukt ist aus der Geschichte der Kunstausstellung nicht geworden. Dem Navigationssytem merkt man an, daß eine Firma dahintersteckt, die mit Stadtplänen und City Guides Erfahrungen gesammelt hat: der bemühte Wille, übersichtlich zu sein und sich gleichzeitig in den gelegten Links zu verlieren. Die Kennzeichen einer CD-ROM sind zum einen die Möglichkeiten, Töne und bewegte Bilder zu verwenden, zum anderen Hyperlinkstrukturen zu erschaffen. Stichwort Interaktivität. Nam June Paik gilt als Pionier dieses Austausches zwischen Mensch und Maschine:

Nam June Paik:
Fernsehen ist Einbahnstraße. Video ist Zweibahnstraße. Zwei-Wege-Kommunikation das nicht nur der Hörer spricht, sondern auch gegen den Hörer sprechen kann. Also Video ist an sich ist ein Gegenestablishment. Ein Tool, ein Werkzeug, um gegen ein Establishment von Information zu kämpfen.

Einbahnstraße, Zweibahnstraße ... Die CD-ROM über die Geschichte der documenta ist eine Sackgasse ... mit U-Turn.

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- 3.August 1997 -


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