3.August 1997





Der Oderdamm

Florian Clauß


[text als audiofile]


Sie scheint sich hervorragend in den gegenwärtigen Trend der Naturkatatrophenfilme wie TWISTER, DANTES PEAK oder VULCANO einzureihen - die Überschwemmung der Oder. Wer weiß, ob nicht bereits jetzt schon ein Drehbuch zu einem Flutendrama in der Schublade eines Hollywood - Produzenten schlummert. Stoff genug ist da: die unerbitterlich ansteigenden Wassermassen, der tragische Kampf um die Deiche, der Verlust von Heim und Boden, aber auch die menschliche Hilfsbereitschaft und Solidarität im angesicht der Katastrophe.

Das überschwemmte Gebiet ist ein Medienspektakel, daß von dem alljährlichen Sommerloch kaum etwas spüren läßt. Solch eine Katastrophe im eigenen Land zu wissen, bestätigt nur die apokalyptischen Ängste, die sich mit dem ausgehenden 20.ten Jahrhundert verknüpfen. Ob nun die Katastrophen in den letzten Jahren tatsächlich gestiegen sind oder ob sich lediglich um ein mediales Produkt handelt, bleibt noch auszuwerten.

Die Überschwemmung der Oder ist aber auch ein politisches Thema, und zwar mit solch großen Kapazitäten, wie es keine Werbefirma für die Parteien arrangieren könnte. Die Bundesregierung überschlägt sich geradezu mit unbürokratischen Hilfen in Millionenhöhe, denn hier werden die Startpositionen der Parteien für die nächste Bundestagswahl festgelegt. Und gleichzeitig bietet sich Gelegenheit, die Stigmatas des trägen Wirtschaftsstandorts Deutschland, mangelnde Flexibilität und hemmende Bürokratie, auszustechen.

Doch kommen wir zum eigentlichen Kern der Sache. Es geht hier nicht so sehr um den Punkt, daß die vom Menschen geknechtete Natur mit ihrer archaischen Gewalt zurückschlägt. Dafür verfügen wir über zuviele Zivilisationsmechanismen, als daß wir der Katastrophe machtlos gegenüberständen. Vielmehr geht es hier um das High-End-Produkt politischen Strebens, nämlich die Europäische Union. Die Grenzen Europas sind gefährdet. Daher ist es nicht verwunderlich, daß nunmehr das Vokabular der Flüchtlingspolitik Fleisch geworden ist: FlüchtlingsSTRÖME oder FLUTEN von Asylsuchenden aus den angrenzenden Drittstaaten. Die Überflutung der Oder kommt ja schließlich aus Polen. Fast schon sinnbildlich treiben bereits Tierkadaver aus dem Nachbarstaat ins Land.

Daß die Bundeswehr hier zu ihrem größten Einsatz seit Somalia kommt, liegt nur in der Logik der Verteidigung des Vaterlandes. Wie David und Goliath kämpft sie Seite an Seite mit den vielen freiwilligen Helfern und Anwohnern gegen die hereinbrechenden Fluten. Sicher eine gute Profilierungschance für die nationale Armee und eine bessere Werbung als die einseitigen Anzeigen in diversen Wochenblättern. Und sicher hat auch nun der Verteidigungsminister einen guten Grund mehr, für die Aufstockung des Rüstungsetats bei der nächsten Haushaltsdebatte zu plädieren.

Aber hinter der scheinbar zivilen Aufopferung stehen doch ernste militärische Anliegen. Wenn der leitender General von einer zweiten Verteidigungslinie im Hinterland oder einer Frontlinie am Deiche spricht, dann sind dies Ausdrücke, wie sie zur kriegerischen Land gewinnung eine Rolle spielen. Zumal die ehemalige Friedensgrenze - die Oder/Neiße-Linie - eine historische Bedeutung trägt. Denn die Zusammenarbeit mit Polen ist entscheidend für die Zukunft eines geeinten Europas. Unter dem Stichwort Osterweiterung wird eben auch in Maastrich diskutiert, die ehemaligen Ostblockstaaten mitaufzunehmen. Ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments warnte davor, wenn man dies nicht tue, müsse man in 20 Jahren mit weitaus größeren Problemen rechnen, was dann von außen in das Land eindringen könnte. Die Idee der Festung Europa wäre demnach kein Luftschloß mehr. Dann müßten die Dämme nicht nur dem Hochwasser standhalten, sondern auch gleichzeitig als Schutzwall für das eigene Land dienen.

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- 3.August 1997 -


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