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5.Oktober 1997
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Das Hotel am Platz

von Silvan Linden


[text als audiofile]



Die Zeiten, so scheint es, in denen Architektur noch sie selbst sein durfte sind vorbei. Die allgemeine Beschleunigung der Märkte, das Dogma der Verwertbarkeit unter dem Faktor Zeit, macht auch vor der Disziplin nicht halt, die sich eigentlich nur der Ewigkeit verpflichtet fühlt. In der Welt des Medialen verflüchtigt sich eine jede Realität zu einem kurzen Moment der Unterhaltung - so auch die Architektur.
Zumindest in unserem Kulturkreis ist ihr Vokabular jedoch beschränkt. Der Architektur kommt die Aufgabe eines kollektiven Gedächtnisses zu, das der Gesellschaft eine Idee von Kontinuität und Identität zu schenken hat und sei sie auch erfunden - da sie authentisch nicht sein darf, wo der Markt es verbietet.
In Berlin steht das Hotel Adlon. Ein erfolgreiches Gebäude und ein hochbanales - unter architektonischen Gesichtspunkten. Ein Gebäude, das sich nur sehr halbherzig die Mühe macht so auszusehen wie sein Vorgänger unter gleichem Namen: das Grundstück ist ein sehr viel größeres, in Struktur und Grundriß haben beide nur die Art der Nutzung gemein und die Fassade letztlich zitiert ein wenig, aber auch nur soviel, daß es auf den ersten Blick noch denkbar bleibt, es könne das Alte sein. Das ist Rekonstruktion als Effizienzramsch, Geschichte als Emotionsspender - oder eben erfolgreiche und populäre Architektur. Ein Gebäude, das weniger durch das existiert, was es ist, als durch seine benennung - durch den Mythos Adlon. Die Idee der architektonischen Reinkarnation kannte man in dieser Perfektion wahrscheinlich nur aus New York.
Nun könnte man diesen Gedanken auch sehr befreiend finden; eine Architektur des copy&paste im freien Spiel der Zeichen und Lesbarkeiten, eine Architektur der heiteren Hülle vor einer Nutzung des steten Wandels. Dummerweise aber steht diese sehr zeitgenössische Technik hier im Dienste der Rückvergewisserung auf eine absolut unfrei erfundene und bereinigte Identität. Gerade das Adlon als eines der hemmungslosesten beispiele verbrauchter geschichte und erlogener authentizität stellt sich in die Tradition der vielbemühten Europäischen Stadt und gerade das Adlon soll Bollwerk sein gegen die Architektur der Eitelkeiten - jene selbstvergessenen architektonischen Errektionen von denen sich der geschichtsbewusste Europäer so angewidert abwendet, wenn er sie dann doch zu Gesicht bekommt: in den wirtschaftliberalen USA, oder - noch viel schlimmer - im unfassbar fremden Asien.
In Asien, wo allein im Großraum Hongkong seit Jahren und mit ungebrochener Intensität ein Vielfaches dessen an Büro- und Wohnflächen produziert wird, was Europas größte Baustelle Berlin sich zu realisieren je aufgeschwungen hat. In Asien, wo die Neugestaltung von Lebensräumen einen Maßstab angenommen hat, der den Verweis auf eine andere Kontinuität als die des Wandels selbst von vornherein lächerlich erscheinen läßt und Architektur schon längst nichts anderes mehr zu sein vorgibt als eine Hülle der Zeichen und Lesbarkeiten.
Was ich sagen will: Berlin ist schon längst Asien und wenn es das nicht sein will, wofür es gute Gründe geben könnte, sollte es sich fragen was es statt dessen sein möchte. Nur eines muß feststehen, das neue Berlin liegt nicht mehr da wo das alte gelegen haben könnte, es liegt zumindest vorübergehend in Asien - als jämmerlich schlechte Kopie.




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