Jeff Noon in interview.
getting in touch with something quite deep about language.

Martin Conrads


[text als audiofile]

"A young boy puts a feather into his mouth..."

A young boy puts a feather into his mouth...

Noon wohnt in einem angenehmen Suburb, hat zwei Katzen und macht guten Tee.
Im Hintergrund rauscht die Schnellstrasse und die Katzen schaben unterm
Tisch in ihrem Streu. Noon ist in seinen Vierzigern, trägt weißes Hemd und
lacht am liebsten über eigene Witze. Wenn Noon "my world" sagt, hallt
später auf dem Mitschnitt das Universum mit - scary. Noon steht nicht auf
seinem Klingelschild - es gibt keines.

Noon?

Jeff Noon.

Jemand der, wie er sagt, 99 Prozent seiner Zeit damit verbringt, Sätze zu
erfinden, die nur er erfinden kann - um dann, auf seiner jährlichen
Lesetour, in Kontakt mit der Welt zu treten; seinen einzigen Kontakt mit
der Welt.
Noon ist eigentlich Theaterautor, war früher, so die Legende, Punk bei
"Manicured Noise". Noon, Autor von wundersamsten Büchern der Dekade: Vurt,
Pollen, Automated Alice, Nymphomation, Pixel Juice . Vurtchester,
Madchester, Mazechester, Dotchester, Bonechester - Noon findet unzählige
Metamorphosen für seine Stadt. Alle Bücher Noons handeln von Manchester,
dieser, wie er selbst zynisch sagt "grauen, regnerischen Stadt, in der
nichts passiert und niemand auf den Straßen ist". Noon liebt Manchester -
besser, er liebt Manchester als den Ort, den er in seinen Texten zu seinem
Lieblingsort macht, zu seinem Technopia, seinem Gehenna, zu Babylon, zu
Eden; seiner Zuflucht und seinem schlimmsten Alptraum. Manchester breitet
sich in der Ebene zwischen den Hochmooren des Peak District auf der einen
Seite, dem Meer auf der anderen Seite aus, das hinter Liverpool wartet. Es
klemmt sich zwischen monströse Einkaufsparadiese an den Ausfallstraßen und
postindustielles Brachland mit Backsteinruinen. Manchester hat eine hohe
Selbstmordrate, wird von privatisierten Busgesellschaften heimgesucht und
findet sein Zentrum nicht. Manchester ist Geschichte und Geschichten, es
lebt von früher her - aus Rauch, Stein, Textil, Text. Es hatte auch Rave
und all das, aber das ist Echo.

"Vurt": 1993. Noons erster Roman. Als Noon im Waterstone-Bookstore in
Manchester arbeitet, bittet ihn ein Freund, der gerade eine kleinen Verlag
aufbaut, einen Roman zu schreiben. Noon besinnt sich, verkauft tags Bücher
anderer und schreibt nachts am eigenen. Es entsteht ein "on the road"-Buch;
eine krude Hommage an Jugend, Subversion, Drogen, die Nacht, an Macht,
Gewalt. Vurt, das Buch, führt Vurt ein, das Kontinuum. Es wird in allen
Büchern Noons leben. Vurt (das Kontinuum) ist kollektives Träumen, ist
Medium und Universaldroge. Vurt ist Zustand und Wunsch, ist Tod und
Aufleben, ist Begehren - und sein eigenes Buch. Parallelwelt / Buchstaben /
Versinken. In den Vurt schickt man sich mit bunten Federn, die man in den
Mund einführt - "curious yellow" die härteste. Pull down-menues erscheinen:
"Welcome to English Voodoo. Expect to Feel Pleasure. Knowledge is Sexy.
Expect to Feel Pain. Knowledge is Torture". Wenn das Programm abstürzt,
bleibst Du im Vurt. Aber irgendetwas wird im Austausch hierbleiben - denn
das ist das Gesetz des Vurt, "Hobart's Law". Irgendetwas wird Dich
ersetzen, wenn Du im Vurt abgestürzt bist. Es wird nicht das gleiche sein,
aber es wird den gleichen Wert haben, den gleichen Wert im ganz großen
Weltschema. Denn das ist es, worum es geht: Wert. Vurt. Vurtual für Word -
Wort. Vurtual für virtual - virtuell. Noon macht das nie explizit. Erst
später, in seinem vierten Buch, wird sich herausstellen, daß "Vurt" auch
für "advert" steht - das Medium ist Droge geworden.
"Vurt" (das Buch) ist in allem auch ein Versuch, in dem Cyberpunk und
Mancunian Rave ineinanderfließen. Danach wird "Pollen" erscheinen, 1995,
ein Hardcoreliner Deiner tiefsten Träume. Später.


JN: "Vurt was the first novel i've ever tried to write. my mind was full of
people like william gibson and that crowd and the type of scene in
manchester at that time. i just kind of joined the two together."


JN: "I always see vurt as a kind of a prentice work. vurt has got lots of
different voices in it, writers' voices i mean. And it was very much mean
learning out to write a novel and just basically taking up with things that
we read, forcing them into manchester. I think Pollen is when i actually
find my voice. there are certain passages in pollen that only jeff noon
could have written. That's why i'm constantly searching for: those
sentences that only i could have written, that's my ultimate kind of goal,
to construct a book out of those sentences.

"Pollen" - ein Buch über Heuschnupfen, ein Buch über Korruption und
Piratensender, über Hundemenschen, Xcabs, Magic Busses und Zombies. Vor der
Stadt liegt "Limbo", das Ödland, vor den Augen ein dichter Film.


JN: "Pollen to me is a very essential book, very lush, very thick with
imagery and language. it's completely over the top as well. there are some
passages in it that are just mad. i don't know what i was doing when i
wrote them. it's certainly most probably the most wildest book i'll ever
write, pollen. definitely. it was very difficult to write."


Die Sprache in "Pollen" weist unglaubliche Konstruktionen auf. Wo "Vurt"
von Drogen handelt, ist "Pollen" Droge. "Pollen" muß irgendwo im ZNS
sitzen; es hat dort gewartet. Noon hat es animiert - wie die Stadt, die in
"Pollen" zu atmen beginnt. Jedes Detail, das auf der Straße ins Blickfeld
gerät, beginnt Sinn zu atmen: schwerfällig, allergisch, blütenrein,
beladen, mystisch, sexy. In "Pollen" verwandeln sich taxifahrende
Hundemenschen in Blütengestalten, in ein Boot, in die Metamorphose per se -
ruhig sogar nach Ovid, der hier Peter Pan und Jesus Christus in der Hölle
trifft. "Pollen" ist eingebettet in einen dicken Blütenstaub aus
abendländischem Wissen, fließender psychedelischer Sprache und einer
Klarheit der inneren Logik, die unheimlich stimmt. Noons Bücher sind von
der Sorte, die sich im Kopf einnisten, aus der Wahrnehmungen gemacht
werden, aus der Geistesblitze entstehen können, lange Paraphrasen, die
Begegnung mit dem Bösen - und dem Schönsten. Die Wildheit der Natur im Auge
des Lesers. Sprache.


JN: "as i was writing pollen i did feel myself getting in touch with
something quite deep about language and that you could actually use
language as a very malleable medium. i don't think to a lot of people that
are actually keyed into it is that words are malleable, because they are
set on a page, we tend to see them as very fixed things, and they are all
going into a certain direction etc.etc. As i was writing pollen that
language started to break down and i started to experiment with it more.
But the same time I'm very conscious of writing a story. So what i'm trying
to do in my work is to experiment with language in the end keep the
narrative going as well. I don't want to lose either of those things. So
all of my books are walking that line between the two. But, yes, the last
quarter of Pollen is me just going mad with the words, going mad, falling
in love with language, that's what i did."


1996: "Automated Alice" ist eine Anverwandlung des Stoffs von Lewis
Carroll. Eine hyperreelle Irrfahrt am Rande der Banalität. "Automated
Alice" nimmt sich aus dem Vurt-Zyklus zurück, weiß aber darum und will
Fußnote sein. Alice gerät ins neumoderne Manchester und trifft dabei neben
ihrem Ebenbild auch auf den Autor selbst, auf Noon, vorgestellt als Zenith
O'Clock. Da fallen die Ebenen zusammen, da beginnt die Hermeneutik,
geschüttelt zu werden, da fragt man sich und runzelt, aber nimmt hin und
ißt. "Automated Alice" ist das schwierigste Buch, was die Einordnung in den
Vurt-Zyklus betrifft, und das unliebsamste. Drahtseillaufend, zwischen
Parodie, Postmodernisierung und Pulp.


JN: "I think it's very nice that you said that that's the kind of central
point about my works. It most probably is, mainly to alice. If you think
about what's going on there: Alice is a real person - Alice Liddell, that
Lewis turned into a fictional figure. A world famous fictional figure. What
i've done is taking myself and turning myself into a fictional figure and
allow my fictional self to meet the fictional alice. So it's two fictional
people. The two fictional counterparts of real people meeting in that
strange mixture of real and fictional manchester. I don't know what's going
on to be honest. To be honest: when i was writing that whole chapter where
i was meeting alice, the overriding feeling or emotion i had it was
cheekiness - of my part. The kind of 'how dare i do this?', basically i was
thinking."


1997: "Nymphomation": Weiterspinnen des Vurt-Fadens. Es ist 1999 und die
Stadt ist einem Konsortium aus Burgershops, Burgercops, korrupter Politik
und Lethargie erlegen. in Manchester herrscht der Big Player: Die Anno
Domino Copmany - eine Lotterie, die jeden Freitag die Stadt in ihren Bann
schlägt und die Bewohner stumpf gemacht hat durch Addiction, Wut und
Hoffnung auf den größten Gewinn: selbst Mr. Million zu werden, die
unbekannte Intelligenz hinter dem psychomonetären Treiben: Die Stadt
selbst, der Staat? Die Macht zumindest. Jeder will sie. In "Nymphomation"
wird Noon politisch. Der Frust auf den Neoliberalismus träumt unruhig im
Text. Die Stadt summt vor Advurts. Es sind Blurbflies:
Bio-Logical-Ultra-Robotic-Broadcasting-Systems. Insektenähnliche
Cyberorgansimen, die die Stadt mit Slogans zumüllen. Abfall für Alle. Play
to Win, Win to Play.
Nymphomation meint: Sexy Knowledge. Eine Rechenmethode, die von hippieesken
68ern erfunden wurde, und in der Zahlen nicht miteinander addiert werden,
sondern Sex miteinander haben, sich vermehren. Die Black Math Crowd, ein
sympathischer Geheimbund, wird Mr. Million schließlich dank Nymphomation
knacken. Dann endlich bricht die Erkenntnis aus. "Nymphomation" schließlich
endet mit dem ersten Satz aus "Vurt": "A young boy puts a feather into his
mouth..." - eine Schleifenbewegung, eine Schlaufe zurück in die Realität
durch Vurt hindurch. Text über Text. Das ist Noons Show. Mr. Millions
Geheimnis.

JN: "I can take you on a tour of all the places in my books, all the places
are real. they are there and you can visit them, and i haved visited them,
i lived there, i've lived amongst them. So what i'm doing is, i'm taking
the manchester that i've grown up in and work with that, that's my starting
point. i think i'm actually making a manchester that i would like to live
in in a perfect world. I'm making this manchester that is more exciting
than it is. more coreful, there is not a core in manchester. I suppose,
yeah, i've written a critique of capitalism, but it's a very gentle
critique, isn't it? It's not a revolutionary text. Just saying that burger
companies are bad is not a major thing i'm saying, or that the lottery is
bad."


"Pixel Juice", Noons neuestes Buch, ist eine Ansammlung von
Kurzgeschichten, teils aus dem Vurt-Universum, mit weiteren Links auf die
diagonale Logik versehen, teils mit fantastischen Texten über DJs, über
Konsum und Sex, Technophilie und Durch-alle-Ritzen-Fallen. Der Klappentext
weiß alle möglichen Beschreibungen für Noons Stil: Transfiction,
Kaleidopunk, Techno-Whimsy, Genre Melt. Noon selbst spricht über seine
Arbeit am liebsten als Avant Pulp. Gerne bemüht er sich, DJ-Techniken auf
Text zu überspielen. Noon, der TJ der Cyberfiction, Noon, der
Perfektionist, der Manic. Der Vater seiner Sätze.


JN: "so what i'm doing there, let me just show you that, that is great on
the radio: from my new book. here's a story called homo karaoke, which is a
weird dj-story. so i do that story, it's not that long, 6 or 7 pages. and
at the end i'll do dub karaoke - electric haiku remix. where what i got
here is i've extracted my favourite bits out of the story and then i've
messed about with them. so basically it's a poem really. but it's the kind
of purified essence of home karaoke - and it's called dub karaoke. here it
is:

all is floating calm
on tremble-haunted wavelengths
disco magnified

groove decoders
crackle-dance to fuse and pop
illusion's perfume

you see, it's images basically. what i was doing there is specificly using
the word processor to extract the images and then randomise them. play with
them on the screen, just constantly searching for a kind of flash of
something exciting."



Plötzlich taucht Noon auch immer wieder woanders auf: In der neuen WIRE
schreibt er über Jazz und eines seiner nächsten Bücher wird von der
Musikszene Manchesters handeln. Daneben sitzt er gerade an zwei weiteren
Büchern: einem eher experimentellen, wie er sagt, und schließlich am
letzten Band der Vurt-Serie. Alle 3 Bücher erscheinen 1999, dem Jahr von
"Nymphomation". Sexy Knowledge. Man fragt besser nicht, wie der Mann das
alles macht. Es könnte mit Vurt zu tun haben.


JN: "there is lots of that kind of stuff in pixel juice, weird dj stories.
i love the language, i love the music, i love the idea of dance music as
being science fiction. in and of itself. to me a drum'n'bass record IS a
piece of science fiction. what the dance people are doing with their
samples and their dubs and their remixes and their scratching, you can
actually find equivalents to those things say in cyberpunk, with the things
they do to the human bodiness. in a typical cyberpunk novel, where the
technology enters the body, you can find examples of scratching and
sampling and remixing. what does it mean? you can remix a record. so you
can actually ask then the question: what does it mean to remix a human?
what would it mean if i took you and i did the remix of you, which would be
the jeff noon remix of you. this is the way my mind works. i can take all
the processes of dance music, i can take them and turn them into the same
process, but about different objects that i'm being using. another thing i
like to do is the idea of music entering the body - rather than that we
listen to music we become music. and there's lots of stories about that in
pixel juice. and i suppose that the dj-figure in my world is somebody who
accesses the gateway between music and the human body. he allows the music
into it. "


"A young boy takes a feather out of his mouth..."

mail to: Martin Conrads

 e-mail an die Redaktion

COPYRIGHT NOTICE: Das Copyright der unter 'convex tv.' digital veröffentlichten Texte liegt bei den an gegebener Stelle angeführten AutorInnen. Die abgelegten Texte dürfen für den individuellen, nicht-kommerziellen und privaten Gebrauch heruntergeladen werden, wobei Copyright und Trademark angeführter AutorInnen, Organisationen und Produkte durch Dritte zu respektieren sind.

Publikation, Weiterleitung und kommerzielle Verwertung der Texte oder Auszüge derselben sind ohne Einvernehmen der AutorInnen untersagt.

Die Meinungsäußerungen der AutorInnen, sowie Zitationen sind nicht deckungsgleich mit der Meinung der 'convex tv.' Redaktion. 'convex tv.' ist nicht für den Inhalt und dessen Umgang mit Dritten, Copyright Regulationen und anderen Gesetzen verantwortlich.