Vom Walzer zur Loveparade und zurück

Kito Nedo


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Winter 98: wir stehen an der Bushaltestelle und frieren. Gegenüber räkelt sich Kylie Minogue in H&M Wäsche. I should be so lucky. Kylie ist Pop. Pop ist überall, hat uns immer begleitet.
Wo kommt Popmusik her? Wie ist Sie großgeworden? Peter Wickes neues Buch "Von Mozart bis Madonna" versucht eine Kulturgeschichte der Popmusik. Wicke, geboren 1951, studierte in Berlin Musikwissenschaft und leitet heute das "Forschungszentrum für populäre Musik" an der Humboldt-Universität. Wer sich zu DDR-Zeiten mit Rock- und Pop beschäftigte, kam an Wicke nicht vorbei. Bücher wie "Rockmusik.Zur Ästhetik und Soziologie eines Massenmediums." (1987) oder "Anatomie des Rock" aus dem selben Jahr gehörten zum Theorie-Kanon. Nach der Wende erschien unter anderem das gemeinsam mit Irmela Hannover herausgegebene Buch: "Puhdys. Eine Kultband aus dem Osten." Auch international hat der laut Klappentext "Rockprofessor" aus Berlin durch Gemeinschaftsprojekte wie dem "International Communication & Youth Culture Consortium" einen Namen erlangt.

Entschuldigung, aber die Kulturgeschichte der Popmusik- ist das nicht ein bißchen viel? Wie macht man das denn? Und warum?

Wicke: "Zuerst einmal ist das ganz pragmatisch, der Verlag hat eine Reihe "Kulturgeschichten", mit einer Kulturgeschichte der Gewürze, des Kaffees, der Gerüchte, des Tanzes und was weiß ich alles. Und da wollte er auch eine der Popmusik haben. Das ist sozusagen der ganz äußerliche Anlaß dazu. Ich glaube aber ingesammt, daß es notwendig ist, auch größere Zusammenhänge und Entwicklungsspannen immer wieder in den Blick zu nehmen, natürlich wissend darum, daß es da Darstellungsprobleme gibt. Das ist gar keine Frage. Ob das nun gelungen ist, ist ein anderes Problem, aber ich halte es für dringend notwendig, das man es immer wieder versucht, weil wir uns unserer eigenen Geschichte auch in einem etwas größeren Kontext versichern müssen, nicht immer nur in dem, was man gerade so erinnern kann."

Wicke holt aus der Wunderkiste des Pop ausgewählte Phänomene in chronologischer Reihe hervor: Für Ihn beginnt die Geschichte der populären Musik mit dem Aufbruch des Bürgertums als tragende kulturelle und politische Kraft, Ende des 18.Jahrhunderts.

Zitat: "Es ist die durch den modernen bürgerlichen Staat eingefasste und auf die Idee der Nation gegründete Gesellschaft, in der das "Populäre" sowohl zu einem öffentlich verhandelten Problem als auch in Form einer "Kultur für jedermann" nach und nach zu einem eigenständigen und rasch kommerziell organisierten Bereich kultureller Praxis wird."

Wickes Buch ist ein Sammlung von schlaglichthaften Betrachtungen zu Phänomenen wie bürgerliche Salonmusik, Walzerhysterie inclusive der Walzerfabrik Familie Strauß, die Geburtstunde des deutschen Schlagers 1899, das Tangofieber, die Jazz-Tänze der Goldenen Zwanziger, Musikpolitik der Nationalsozialisten, Nachkriegsschlager, Rock `n` Roll, Elvis, Beatlemania und Loveparade.
Popmusik hat nach Wicke immer auch mit Körperpolitiken zu tun. Jede Zeit hatte Ihre eigenen Körperkodexe und die dazugehörige Unterhöhlung derselben mittels Musik und Tanz. Diente die bürgerliche Salonmusik des 19. Jahrhunderts zur Selbstdarstellung des weiblichen Körpers am Klavier, so sah man im "Shimmy", einem Modetanz der Zwanziger Jahre, den Aufstand der Sinne gegen bürgerliche Steifheit.
Wieder Jahrzehnte später: Elvis. Zitat. "Die irritierte Öffentlichkeit vermochte hinter dem expressiven Körperkult des Rock`n `Roll, (...) nichts anderes als eben "das Eine" zu erblicken- Sex." Und heute? Beispiel Madonna: Zitat: "auch die Musik lebt nicht mehr, wie die Klavierarpeggios von einst, in der erotischen Spannung zwischen Vorführung und Zuschauen. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist sie zu einer autoerotischen Veranstaltung in technisch generierten Klangräumen geworden, in denen der Körper als pures Objekt seiner Eigentümer unter Hochleistungsstreß unablässig "Lust" zu produzieren hat.".
Ob heutige Popkulturen irgendwelche Politiken verfolgen, ist nicht klar, eines steht aber fest: Zitat: ""Konsum" steht auf dem Schild in riesengroßen Lettern, das anzeigt, wo es langgeht - Konsum von allem, was sich konsumieren läßt, der eigene Körper inklusive. (...) Es ist das die schlimmste Form des Generationenkonflikts, wenn die Kinder die Eltern nachahmen und dabei deren idealistischen Plunder in Ironie auflösen."
Meint das, daß im Rock eine Art von Kulturkonsum eine politische Geste war?

Wicke: "Es war so gemeint, aber hat nie so funktioniert. Jetzt kommen die nächsten und sagen: "Wir machens so" und die in den Amtstuben sagen: "Na fein, so wollten wir das immer und deshalb erlauben wir euch das auch" aber in wirklichkeit haben die Ihren Spaß. Und von Politik ist da keine Rede. Das ist doch alles Quark. Ich finde das ja auch sehr clever, aber ich sage ja: für mich ist das eine neue Form von Generationenkonflikt und die hat für mich eine besondere Komik, deswegen ist das auch die schlimmste Form, weil die Alten das gar nicht merken, daß sie Objekt von einem Prozeß sind."

"Von Mozart bis Madonna" ist kein Versuch, eine neue hippe Poptheorie in den Diskurs-Ring zu werfen. Peter Wicke ist vielmehr der Geschichtenerzähler unter den deutschen Popschreibern. Wahrscheinlich braucht es ein paar Links in die Vergangenheit um Zukünftiges zu erahnen. Denn der nächste Hype kommt bestimmt.

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