kosovokrise - natobomben auf serbien. ein kommentar aus der region über die öffentliche meinung in sarajevo, zagreb und belgrad

Klaus Buchenau


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"Es tut mir leid - aber wenn ich höre, dass die Serben in Belgrad in den Luftschutzkeller müssen und Angst vor den NATO-Bomben haben, dann freue ich mich." So oder so ähnlich reagieren in Sarajevo viele Menschen, die fast vier Jahre lang jeden Tag Angst vor serbischen Granaten und Scharfschützen haben mussten. Die Bilder von Flüchtlingsströmen und massakrierten Zivilisten auf dem Kosovo lösen hier bittere Erinnerungen an den Krieg in Bosnien-Herzegowina aus, in dem Serben und Kroaten die Muslime brutal in die Zange nahmen. Der Vizevorsitzende des Bosnischen Ministerats, Haris Silajdzic, spricht den Menschen aus dem Herzen, wenn er die serbische Aktion auf dem Kosovo mit der in Bosnien gleichsetzt: "Das Ziel ist das gleiche, die Autoren des Plans sind die gleichen, die Methoden auch, das ist jedem klar." Die emotionale Reaktion der Menschen in Sarajevo ist also eindeutig: Der Westen muss bis zum letzten gehen, die Serben verdienen ihre Strafe. Und immer wieder betonen die Leute, die NATO sei nicht schuld an der humanitären Katastrophe, denn die Serben hätten schon vor den Luftangriffen mit Säuberungen grossen Massstabs begonnen. Bosnische Muslime und muslimische Kosovoalbaner sind also von Belgrad in eine Art islamische Solidarität getrieben worden, die eigentlich beiden Gruppen fremd war - denn weder die einen noch die anderen waren ursprünglich besonders religiös motiviert. Weitgegen unbemerkt von der Weltöffentlichkeit hat auch Bosnien izwischen ein - wenn auch noch nict dramatisches - Flüchtlingsproblem. Im Laufe der letzten Woche sind 52 Busse und mehrere hundert Autos mit Muslimen aus dem Sandzak in Bosnien eingetroffen. Der Sandzak ist der mittlere Teil des "muslimischen Gürtels", der von Bosnien bis zum Kososvo reicht. In diesem zu Serbien gehöreneden Gebiet leben heute etwa 200.000 slawische Muslime, die befürchten, nach den Albanern die nächsten Cetnik-Opfer zu werden. Offensichtlich werden die Sandzak-Muslime gegenwärtig wesentlich weniger konsequent in die jugolsawische Armee eingezogen als die Serben, weil sie als illoyal gelten. Die bosnische Regierung hat gat sie aufgefordert, zu bleiben, weil sie sich sonst der Logik Milosevics beugen würden. Etwas anders sind die Reaktionen im kroatischen Zagreb, das im jugoslawischen Zerfallskrieg ungleich weniger gelitten hat als Sarajevo. Hier mischt sich Schadenfreude nicht selten mit unverhohlenem Triumphalismus gegenüber den Serben. An dem Abend, als die Bombardierunben begannen,, feuerten kroatische Nationalisten in der Innenstadt Freudenschüsse ab. Und immer wieder finden sich in den Medien Kommentatoren, die sich offen über die zu erwartende Reduzierung Serbiens auf einen in jeder Hinsicht unbedeutenden Kleinstaat freuen. Diese Reaktion zeigt auch, wie ähnlich sich die herrschenden Ideologien in Zagreb und Belgrad sind - nur was dem anderen schadet, nützt mir. Nur vereinzelt gibt es in Sarajevo un Zagreb Kommentare, die das jeweilige kollektive Trauma überwinden und auf globalere Massstäbe verwesen. So warnt der bosnische Sozialdemokrat Bogic Bogicevic, bei aller nötigen Härte gegen Milosevic müsse der Westen ungedi ngt klarmachen, dass er die Integrität Jugoslawiens respektiert und gegen ein uabhängiges Kosovo sei. Für den Fall einer Sezession sei dagegen für Bosnien-Herzegowina eine unruhige Zeit sicher: denn Serben und Kroaten würden dies als Signal verstehen, sich erneut an die Aufteilung Bosniens zu machen. Und die Serben selbst? In Telefongesprächen mit Belgadern wird deutlich, dass sie mit jedem Tag weniger Verständnis für die Bombardierungen haben. Das gilt auch für diejenigen, die mit dem Nationalismus nichts am Hut haben. "Was soll das, wenn die NATO uns in die Steinzeit zurückbombt? Glaubt ihr etwa, dass Serbien dann schneller demokratisch wird", fragte ein Bekannter. Kollektive Bestrafung führt also nicht unbedingt zu Selbstkritik.

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