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convex tv. am 7.09.97 über fat:

Busfahren ist eine alltaegliche Beschaeftigung...
Im Herbst 96 konnte entlang der Londoner Buslinie 7 diese Gewohnheit allerdings zu einer Begegnung mit einem Alltag der anderen Art werden. Postmodern-elegante Wartehäuschen bekannten Eurostandards hatten sich plötzlich in ein reetgedecktes Cottage verwandelt. Die Ikone autosuggestiver Eigenheimkultur war hier als Versatzstueck handwerklicher Präzision gesetzt auf ein Mobiliar der flüchtigen Begegnung. ähnliches oder Grundverschiedenes geschah an neun weiteren Warteständen, jeweils in Kooperation eines oder mehrerer Künstler mit Soundtechnikern und Musikern. Initiator und Organisator dieses Spiels mit Lesbarkeiten des Öffentlichen Raums war die Londoner Gruppe fat - fashion architecture and taste - , ein loser Zusammenschluss von Künstlern und Architekten, die seit Ende der achtziger Jahre für viele Interventionen dieser Art haftbar zu machen sind. fat selbst ersetzten die Glasscheiben eines anderen Wartestands durch Spiegel, die das ohnehin kontextfreie Gerät zu einer Oberfläche des Verweises verwandelten, einer Gerätschaft der geliehenen Eigenschaft. Erlebbar war hier neben dem gespiegelten Bild von Umgebung und Benutzer auch eine Installation gespiegelten Klangs, bei der ein linkes Mikrofon zu einem rechten Lautsprecher führte und umgekehrt. Ein vorbeifahrendes Auto war in der kleinen akustischen Welt des Spiegelhäuschens also zunächst dort zu hören, wo es hinfahren wollte -um dort zu verschwinden wo es hinfuhr. Dieser permanenten Verdrehung von lechts und rinks waren per Tonband noch Klänge anderer akustischer Aussenwelten wie beispielsweise Wald und Bahnhof untergelegt.

clive:
" Fat ist im grunde eine Arbeitgemeinschaft, in der Leute aus verschiedensten Disziplinen zusammenarbeiten.
Wir versuchen verschiedene Sichtweisen auf eine Beteiligung an Institutionen, sei es als Architekt, Künstler oder Musiker, zusammenzubringen, wobei wir Institutionen dabei als Repräsentanten bestimmter Ideologien verstehen.
Wir versuchen also als Gruppe so aufzutreten, dass das Verhältnis zwischen dem Publikum, uns selbst und der Institution innerhalb derer wir arbeiten, recodiert oder umgedeutet werden kann.
Um diese Vorstellungen umzusetzen, benutzen wir oft das Mittel des Humors oder die Idee des Zugänglichkeit und der Interaktion."

fats Interventionen machen nicht vor dem System Stadt halt. Der Kunstbetrieb lebt - als Markt und Öffentlicher Raum, und was den vielbeschworenen Content angeht - zwar von Kontroverse und Innovation, präsentiert sich institutionell aber als verkrustete Struktur: Die Rollen von Produzenten, Vermittlern und Rezipienten sind immer schon festgelegt, Galerien und Museen definieren sich gerade durch den Auschluss von Alltagsräumen als Orte der Kunst. Mit ihrem Projekt Outpost liessen fat die Galerie explodieren und führten deren kuratorische Auswahlkriterien ad absurdum. 1000 Künstler produzierten etwa für die Biennale in Venedig visitenkartengrosse Kunstwerke, die, in Vogelhäuschen verpackt, über die Stadt verteilt wurden. Für Home Ideals bezogen fat dagegen die Anwohner einer Londoner Strasse ein: Die konnten aus einem Katalog ihr Lieblingskunstwerk auswählen, das dann vor dem eigenen Haus ausgestellt wurde. Nämlich auf Werbeschildern, die üblicherweise freien Wohnraum verkünden. Im Gegenzug unterstützte der ausgewählte Künstler die Familie hinter der Fassade bei der Produktion eines eigenen Kunstwerks, das seinen Platz auf der B-Seite der Werbefläche draussen vor der Tür fand. Projekt Red Dot schliesslich griff dort zu, wo sich Marktwert und Wahrnehmung von Kunst treffen: fat verteilten rote Punkte an Galeriebesucher, die - neben alle Werke geklebt - die Aura kulturellen und monetären Kapitals schön gleichmässig und damit demokratisch verteilten. Die selben Roten Punkte, die in der Besucherwahrnehmung üblicherweise die Spreu vom Weizen trennen, sabotierten so die Hierarchien von Wert- und Wichtigkeit.

auzug tape roadworks - fat/pendle/renegade soundwave

Nicht selten nutzen fats gezielte Eingriffe in festgezurrte Wahrnehmungsmuster die allgegenwärtigen modernen Maschinenparks, die auf alternative Handhabung nur zu warten scheinen. Trotzdem sind fat keine Hacker: Schon kleine Veränderungen in der Anwendungsweise bereits vorhandener Technologien führen schnell zur Erweiterung oder Invertierung ihrer ursprünglichen Anwendungsgebiete. Während etwa Muzak als funktionale Musik schnell vergessen werden will, um im Hintergrund die Befindlichkeiten der Hörer zu manipulieren, basteln fat zum Beispiel aus Vogelgezwitscher elevator music, die nicht lange unbemerkt bleibt. Schon allein wegen ihrer Penetranz und offensichtlichen Künstlicheit wird sie zum Verweis auf die Allgegenwärtigkeit unterschwelliger Klänge, die unter anderem als emotionale Watte in stressigen Arbeitsumgebungen fungieren. Mit Projekt 0800 griffen fat auf eine ebenso alltägliche Technologie zu, um die Frage nach der Zugänglichkeit von Kommunikationsstrukturen zu stellen. Die für den Anrufer kostenfreien 0800-Telefonnummern entsprechen den deutschen 0130-er Verbindungen, die üblicherweise Firmen ihren Kunden als Hotlines zur Verfügung stellen. fat mieteten einige dieser Kanäle als offene Plattformen für Kommentare aller Art und annoncierten die Nummern englandweit mittels Postkarten.

Pendle:
"So konnten die Leute sich fragen: was soll das eigentlich? da ruf ich mal an... Sie hörten eine kurze Ansage, und viele legten auch schon wieder auf. andere hinterliessen aber auch ihre nachrichten auf dem Band. Damit hatten wir die Kanäle geöffnet und jeder konnte sagen was er wollte, allerdings ohne eigentlich zu wissen, wozu. Das ermunterte einen ganzen Querschnitt - von irgendwelchen Spinnern über Menschen mit sehr eindringlichen, ernsthaften Beiträgen bis hin zu Leuten, die damit rumspielten und vor allem ihren Spass haben wollten - was toll war. Eine der merkwürdigsten Erfahrungen war, als meine Mutter auf allen Leitungen angerufen hat und sehr persönliche Botschaften hinterliess, die sie mir sonst nie gesagt hätte. Vor allem an einem bestimmten Punkt war ich wirklich fast den Tränen nahe. Das war schon sehr speziell. Jeden Abend sammelte ich die Nachrichten auf einem Band, Das dann in einer kleinen Hütte abgespielt wurde, die im Prinzip ein typisch englisches Gartenhaus war. Aufgestellt mitten im South Bank Center, das quasi den Kristallisationspunkt deq Londoner Kunstbetriebs darstellt. An diesem sehr institutionalisierten Ort stand plötzlich dieses eigenartige Gartenhaus, aus dem Stimmen zu hören waren, die allen möglichen Unsinn erzählten. das war für sich genommen ein fantastischer Anblick."

In der grossen kleinen Welt der Architektur ist der Leitsatz des 'form follows function' immer noch gebräuchlich und meint eine Architektur, die ihre Form in der direkten ableitung der jeweils gegebenen Nutzung sucht. Eine andere Leitsatzgruppe bilden konkurrierend dazu Kontextualismus und sprechende Architektur. Hier darf die Form als Bebilderung von Nutzung oder Geschichte selbstgerecht verweisen auf eine Ebene der Bedeutung, die jenseits ihrer selbst liegt - wie das Schuhgeschäft, das wie ein Schuh aussieht.
Die Technik des copy&paste, die fat als User verinnerlicht haben, erlaubt dagegen eine Architektur jenseits der Form, eine Architektur des Augenblicks: form to program.
Wenn in einem von ihnen designten Nachtklub beispielsweise das Zeichen eines Schwimmbads gegen das Zeichen einer Flughafen-Gepäckausgabe gesetzt wird, ist die Form als Träger von Bedeutung sinnlos. Aus einem Kontext herauskopiert und in einen anderen hineingepastet, illustriert sie die Vergeblichkeit architektonischer Formgebung, wenn die Schnittstelle des Computers zum einzig zeitlosen Aufenthaltsort gworden ist. Die von fat geborgten Formen sind Zitate ohne Verweis auf ein Vor oder Danach - Zitate ohne Eigenschaften für die Stadt ohne Eigenschaften. Eine Poesie von Widerspruch und Dichte provoziert und generiert Ereignisse aus dem steten Wandel von Nutzung und Benutzer - unter einer sich ewig drehenden und unverzichtbaren Disco-Glitzerkugel.


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contd. issue#2