5.Oktober 1997





David Grubbs im Interview

mit Martin Conrads


[text als audiofile]


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Interpret: David Grubbs
Titel: Banana Cabbage, Potatoe Lettuce, Onion Orange (Track 1)
Tonträger: CD: Banana Cabbage, Potatoe Lettuce, Onion Orange
Erscheinungsjahr: 1997
Label: Table of the Elements
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"Banana Cabbage, Potatoe Lettuce, Onion Orange", mit dieser im Februar 97 veröffentlichen Solo-CD, seiner ersten, hatte der 30-jährige David Grubbs eine instrumentale Skizze angefertigt, die sich, wie so viele seiner Arbeiten, erst nach oftmaligem Hören auftut. "Feldmanesque", wie es der Musikkritiker John Corbett mit Verweis auf Morton Feldman in den Linernotes zur CD bezeichnet, hat Grubbs hier die Idee weit beiseite gelassen, wonach sich Bandmusiker beim ersten Soloprojekt ihre ewig verschobenen Wünsche erfüllen. Grubbs nahm das Prinzip "Solo Platte" wörtlich und komponierte drei Tracks, die nichts anderes sind als Soli - jeweils einmal mit Piano, mit akustischer und mit elektrischer Gitarre variiert.

Grubbs, der in den Achtzigern und frühen Neunzigern mit seiner Band Bastro, und zuvor mit Squirrel Bait auftrat, wird vor allem mit dem Projekt Gastr del Sol in Verbindung gebracht. Der Chicagoer Produktionszusammenhang Gastr del Sol mit dem Kernduo Grubbs und Jim O'Rourke hatte in den letzen Jahren einige außergewöhnlich brilliante Tonträger aufgenommen - Platten, ohne Kontinuität aber mit eigener Geschichte, hybride Abtastversuche an Klang, Noise und Song. Wenn im Juni diesen Jahres O'Rourke aus dem Projekt ausscherte, stellt sich nun für Grubbs die Frage, wo Grubbs solo nicht Gastr del Sol sein kann.

David Grubbs:
Das waren persönliche Gründe, die zur Trennung geführt haben. Und es ist das Ende einer Periode von vier Jahren, die durch sehr enge und intensive Zusammenarbeit geprägt war. Aus persönlichen Gründen ist es nun Zeit, Anderes anzugehen, und wir denken beide so. Ich möchte jede Entscheidung über Gastr del Sol aufschieben. Die Entscheidung, die ich getroffen habe, ist diejenige, alle Optionen für Gastr offen zu lassen. Aber dies möchte ich nicht alleine angehen, denn es sollte ein Bandprojekt bleiben. Ich habe nicht das geringste Interesse daran, einen Bandnamen für ein Projekt beizubehalten, an dem ich alleine arbeite. Natürlich gibt es einige Andere, mit denen ich gerne zusammespielen würde, aber vielleicht ist es besser, erstmal sechs Monate, ein Jahr, oder vielleicht auch zwei Jahre damit zu warten.

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Interpret: Gastr del Sol
Titel: crappie tactics
Tonträger: LP: Upgrade & Aftlerlife
Erscheinungsjahr: 1996
Label: Drag City
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"Crappie Tactics", Ein Stück aus der letzten Gastr del Sol-LP von 1996, "Upgrade & Afterlife". Ein Stück, in dem sich mindestens eine Charakteristik von Gastr del Sol-Platten wiederfindet, so, wie man sie bisher kannte. Die subtil schleifende, bisweilen skurril ausbrechende Elektronik von OÕRourke, dazu wechselnd Gitarrenspiel, Piano und Gesang von Grubbs mit - hier darf man es ruhig mal sagen -poetischen Texten schufen bislang eine Atmosphäre, die ihre Referenzen von Folk zu Minimal Music souverän selbst abstecken konnte. Wenn die Lyrics vieler Stücke dabei weit jenseits von "Beiwerk" waren, dann hat das nicht zuletzt seinen Grund in GrubbsÕ akademischer Seite. So war Grubbs lange Zeit an der Theoriezeitschrift "Critical Inquiry" beteiligt, die vom Chicagoer Kunstwissenschaftler W.J.T. Mitchell herausgegeben wird, der mit seinen Schriften zur "Image Theory" die Debatte um den "Pictoral Turn" mit-anstieß. Darauf angesprochen, ob Grubbs aus seiner Grenzerfahrung in Theorie und Praxis Analogien dazu ableiten kann, will er einen "Sonic Turn", jedenfalls in Chicago, noch nicht entdeckt haben.

Praktischerweise verknüpft er zwei Facetten seiner Arbeit: da ist zum einen der Lehrauftrag im Fach "creative writing", den er mit seinen Studenten zumeist mit dem Produzieren von Hörspielen verbringt, andererseits ein Lehrauftrag im Fach Musik, eine Aufgabe, die Grubbs trotz klassischer Klavierausbildung in jungen jahren als Testfeld für eigenes Wissen und Können begreift.

Aus der Gastr-Zeit mit Jim O'Rourke, mit dem Grubbs weiterhin das Label "Dexter's Cigar" betreibt, wird es trotz der Trennung im nächsten Jahr noch eine Platte geben, die unter dem Namen Gastr del Sol erscheint:

David Grubbs:
Die Gastr del Sol-Platte, die im Januar oder Februar herauskommt, ist in Zusammenarbeit mit Oval entstanden. Die Platte wird dabei unter dem Namen Gastr del Sol erscheinen; gleichzeitig wird es eine Platte von Oval geben, die Gastr del Sol als Ausgangsmaterial benutzen wird. Die Idee ist dabei, entsprechende Reliefs voneinander zu erarbeiten, die auch auf dem gleichen Label herauskommen, zumindest in den Staaten. Die Zusammenarbeit begann damit, daß wir die einzelnen Aufnahmespuren von "The Harp Factory on Lake Street" an Markus Popp schickten, nachdem wir sie von einem 24er Master heruntergezogen haben. Er bearbeitete das Material, machte neue Tracks daraus, und nach einigen Monaten bekamen wir von ihm immer wieder Post mit weiterem Material. Wir haben dann daraus Elemente gewählt, und damit Songs entwickelt. Es schien dabei für Markus wichtig, daß die Gestalt der Songs - der Gesang, die Akustikinstrumente - nicht von der Oval-Software dominiert würden. Es war eine großartig Aufgabe, weil dies alles nicht einfach war. Das Oval-Material, das wir zurückerhielten ist so etwas wie das unsichtbare Zentrum unserer Kompositionen und nach alldem, was ich davon bisher gehört habe, ist es grandios geworden. Auf unserer Platte dominieren Streicher, Bläser oder Klezmer-ähnliche Music - nein wirklich, kein Witz. Ich weiß, das hört sich jetzt furchtbar an. Die Platte wird "Camofleur" heißen.

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Interpret: Gastr del Sol
Titel: Parenthetically
Tonträger: CD: Crookt, Crackt, or Fly
Erscheinungsjahr: 1994
Label: Drag City
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"Parenthetically" von der 94er Gastr-CD "Croockt, Crackt or Fly". Der Stil von Gastr del Sol hat bis dato sorgsam verschrobene Kleinode hervorgebracht, Stücke, die entweder Miniaturen an der Schwelle zu Hardcore oder ausdauernde Noise-Studien mit geschliffener Bedeutung mimten. Das Prinzip "Komposition" erfährt dabei die gleiche Intensität wie der Prozeß der Improvisation. Musikalische Strukturen werden radikal wie konstruierend umgeschichtet, wenn wie eben gehört, Tracks mit einem Ende beginnen und mit einem Anfang enden.

Wenn Gastr del Sol mit solchen Faibles jemals "Post-Rock" waren, dann eher mit der Betonung auf Post als auf allem anderen. Dennoch: Gastr del Sol, Tortoise, The Sea and Cake, diese Chicagoer Bands haben nicht zufällig ihre Verbindungen, zumeist durch Personen wie Grubbs oder John McEntire von Tortoise, der ehemals bei Bastro am Schlagzeug saß. Aber es existiert bei Grubbs, ebenso wie bei OÕRourke, auch eine völlig andere Linie an Kooperationen, eine Linie die sich mindestens von Tony Conrad und John Fahey bis zu The Red Krayola erstreckt, der legendären Künstler-Combo von Mayo Thompson, in der neben Grubbs und OÕRourke, so verschiedene Leute wie Albert Oehlen und Stephen Prina mitwerkeln. Wenn dazu Gastr del Sol-Cover von Künstlern wie Oehlen oder Roman Signer gestaltet werden, liegt die Frage nahe, wie sich GrubbsÔ Verbindungen zur Kunstszene in seiner Musik abbilden.

David Grubbs:
Meine Verbindung zu bildenden Künstlern ist eher persönlicher Art, und ich bin mir sicher, daß das auch auf meine Musik Einfluß hat. Ich tendiere dazu, den musikalischen Wertschätzungen vieler meiner Künstlerfreunde Glauben zu schenken. Aber ich kann nicht sagen, daß ich den Kunstbetrachtungen vieler Musiker vertraue. Meine Verbindungen zur Kunstszene verlaufen hauptsächlich über The Red Krayola. Als ich noch am Collage studierte, glaubte ich mir immer einen Beruf ausdenken zu müssen, der noch nicht existiert, und lange Zeit dachte ich: Ich muß eine Art Think Tank aus der Taufe heben, dann kann ich eine Menge Zeit damit verbringen, mit Freunden zusammenzuarbeiten; etwa nach dem Motto: diese Leute sind interessant, sie wären bestimmt an der Idee des Think Tank interessiert. Nun, und The Red Krayola ist nun sehr nahe an dieser Idee: es ist tatsächlich eine Gruppe sehr unterschiedlich interessierter Menschen, wodurch ich eben den Kontakt zu einer Menge bildender Künstler habe - und mir hier und da eine Idee entleihe. Nimm Albert Oehlen: ich bin immer daran interessiert, was er über Musik denkt - über Kunst rede ich nie mit ihm, wohl deswegen, weil er dies mit Anderen zur genüge tut. Gestern bin ich mit ihm in einen Plattenladen gegangen, was immer interessant ist. Er meinte etwas wie: "Klasse, es gibt so viel gutes Zeug hier. Ich habe zwar keine Ahnung, was ich kaufen sollte, aber ich bin mir sicher, daß das meiste hier es wert wäre." - Albert Oehlen hat mir meine harten Ecken genommen. Und er nahm mir den Zynismus für diesen Kontext.

David Grubbs ist der smarte Zyniker und der aufmerksame Gesprächspartner, jemand, der persönliche Koordinaten mit einer Ästhetik zu kreuzen weiß, deren Anspruch an jeder Art von Objektivität vorbeistreift.

So, wie im nächsten Track die Bassklarinette von Gene Coleman den Gesang von Grubbs aufgreift, spiegelt sich in der Musik von Gastr del Sol eine Methodik, in der "Hören" eine Qualität erreicht, die zwischen Referenz und Avanz einen wunderbar unentschlossenen Schwebezustand einhält. Vielleicht ist es deswegen, daß Stücke "our exquisite replica of eternity" oder CDs "Mirror Repair" heißen. Daraus nun zuletzt "Eight Corners":

<musik>
Interpret: Gastr del Sol
Titel: Eight Corners
Tonträger: CD: Mirror Repair
Erscheinungsjahr: 1994
Label: Normal
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- 5.Oktober 1997 -


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